BGB § 823 § 839

Leitsatz

1. Einen Jogger, der bei Dunkelheit auf einem innerörtlichen Gehweg läuft, trifft bei eingeschränkter Sicht und Reaktionsmöglichkeit eine gesteigerte Sorgfaltspflicht.

2. Bei optisch wahrnehmbaren Belagsunterschieden muss er mit Unebenheiten rechnen und diese aufgrund eines gesteigerten Sturzrisikos umlaufen bzw. sich diesen mit erhöhter Sorgfalt nähern.

OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.8.2015 – 1 U 31/15

Sachverhalt

Die Kl. macht Ansprüche aus einer behaupteten Verkehrssicherungspflichtverletzung geltend.

Die Bekl. war beauftragt worden, eine zuvor bereits schon einmal geöffnete nachasphaltierte Fläche einer Größe von 68 × 135 cm eines Bürgersteigs zu öffnen. Die Fläche wurde anschließend mit Splitt aufgefüllt. Über eine Breite von 36 cm von der Bordsteinkante aus und über die gesamte Länge von 135 cm ist der Splitt fast eben mit dem geteerten Bordstein. Die weiteren 32 cm zum Anwesen steigen keilförmig von 0,0 bis 1,5 bzw. 2 mm an. Aufgrund firmeninterner Probleme vergaß die Bekl., den Gehweg ordnungsgemäß mit einer Asphaltdecke zu schließen.

Die Kl. joggte am 7.11.2013 kurz nach 18.00 Uhr mit ihrem Ehemann auf dem Gehweg. Sie trat in die Vertiefung und zog sich eine Außenbandruptur, Verletzung der Bänder und Gelenke zu. Der Senat verneinte in Übereinstimmung mit der ersten Instanz eine schadensursächliche Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die beklagte Kommune und wies Ansprüche der Kl. auf Zahlung von Schmerzensgeld und auf Feststellung der Ersatzpflicht der Bekl. hinsichtlich sämtlicher materieller und immaterieller Schäden aus dem Unfallereignis zurück.

2 Aus den Gründen:

" … 1. Der Bekl. kann vorliegend keine Verletzung ihrer aus der vormaligen Bautätigkeit resultierenden Verkehrssicherungspflicht zur Last gelegt werden."

a. Zwar war die Bekl., die den Gehweg öffnete und anschließend mit Splitt in der oben beschriebenen Weise verschloss, gehalten, hiervon ausgehende Gefahren auszuschließen bzw. zu minimieren. Jedoch gilt es vorliegend zu beachten, dass sich der Schadensfall auf einem innerörtlichen Gehweg ereignete. Im Fall von Straßen und Gehwegen wird der Umfang der Verkehrssicherungspflicht von der Art und der Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seiner Bedeutung maßgebend bestimmt. Sie umfasst die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Straßenbenutzer hinreichend sicheren Straßenzustandes. Grundsätzlich muss sich der Straßenbenutzer allerdings den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (vgl. BGH, Urt. v. 10.7.1980 – III ZR 58/79, Rn 17, juris).

Das bedeutet allerdings nicht, dass eine Straße oder ein Gehweg schlechthin gefahrlos und frei von allen Mängeln sein muss. Eine vollständige Gefahrlosigkeit der Straße und ihrer Benutzung kann mit zumutbaren Mitteln nicht erreicht und vom Verkehrsteilnehmer nicht erwartet werden. Auch der Fußgänger muss bei Benutzung des Bürgersteigs mit gewissen Unebenheiten rechnen und sich darauf einstellen. So muss etwa der Bürgersteig auch einer verkehrsreichen Hauptstraße nicht völlig frei von Mängeln sein und verlangt die Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht nicht, dass dieser keine Unebenheiten aufweise, da so weitgehende Anforderungen dem Verkehrssicherungspflichtigen nicht zumutbar sind (vgl. BGH, Urt. v. 27.10.1966 – III ZR 132/65, Rn 18, juris).

Daher sind geringe Niveauunterschiede im Allgemeinen hinzunehmen. Jedoch kann ein für sich allein unerheblicher Höhenunterschied im Straßenbelag durch das Zusammenwirken mit anderen Umständen von Bedeutung werden und damit eine vom Verkehrssicherungspflichtigen zu beseitigende Gefahr für die Verkehrsteilnehmer auslösen. Bei geringen Höhenunterschieden darf mithin nicht allein auf die absolute Höhe des Unterschieds abgestellt werden; vielmehr ist die durch den Höhenunterschied bedingte Gefährdung im Zusammenhang mit den besonderen Umständen der einzelnen Örtlichkeit zu sehen und im Hinblick auf die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu beurteilen (vgl. BGH, Urt. v. 27.10.1966 – III ZR 132/65, Rn 19, juris). Neben der Höhendifferenz sind daher ferner andere Umstände maßgebend, wie etwa die Art und Beschaffenheit der Vertiefung oder Erhöhung und die Lage in einer Hauptgeschäftsstraße, in der erfahrungsgemäß die Aufmerksamkeit der Fußgänger infolge der Verkehrsdichte und der Schaufensterauslagen abgelenkt wird (vgl. BGH, Urt. v. 27.10.1966 – III ZR 132/65, Rn 23, juris; OLG Hamm, Urt. v. 27.3.1992 – 9 U 204/01, NJW-RR 1992, S. 1442; OLG Oldenburg, Urt. v. 20.12.1985 – 6 U 72/85, NJW-RR 1986, S. 903; Hager, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, § 823 E Rn 160).

b. Hiernach kann der ...

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