JGG § 67; OWiG § 46; StPO § 136

Leitsatz

1. Soll ein 15-jähriger Minderjähriger von der Polizei nach einem Verkehrsunfall als Unfallverursacher vernommen werden, ist zur späteren Verwertbarkeit seiner Aussage zumindest erforderlich, dass er zuvor von den Polizeibeamten gem. § 67 JGG auch darüber belehrt wird, dass er vor einer Aussage das Recht hat, seine Personensorgeberechtigten zu kontaktieren.

2. Diese gesetzliche Regelung beruht auf der kriminologisch gesicherten Erkenntnis, dass jugendliche Beschuldigte gegenüber Erwachsenen eine deutlich höhere "Geständnisfreudigkeit" aufweisen, also in geringerem Umfang in der Lage sind, auch bei ansonsten korrekter Belehrung über das Schweigerecht von ihrer Aussagefreiheit dahingehend Gebrauch zu machen, auf Angaben zur Sache möglicherweise zu verzichten.

3. Unterbleibt eine solche Belehrung im Ordnungswidrigkeitenverfahren, führt dies auch zu einem Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess.

(Leitsätze des Einsenders)

LG Köln, Urt. v. 13.1.2016 – 13 S 129/15

Sachverhalt

Der zum Unfallzeitpunkt 15 Jahre alte Bekl. stieß nach dem Schulbesuch auf dem Nachhauseweg beim Überqueren der Straße auf dem Weg zur Bushaltestelle aus zwischen den Parteien streitigen Gründen mit dem Pkw des Kl. zusammen, an dem Schäden an Außenspiegel und Beifahrertür entstanden. Deren Ersatz hat der Kl. mit der Klage verfolgt. Der Bekl. gab am Unfallort kurze Zeit nach dem Unfall an, er habe beim Überqueren der Fahrbahn nicht auf die Ampel geachtet, da er zu dem Bus auf der anderen Straßenseite habe gelangen wollen. Der Kl. hat behauptet, die Ampel habe in seiner Fahrtrichtung grün gezeigt. Die Polizei hielt den Bekl. als Unfallverursacher fest, ohne den Bekl. auf sein Recht zur Kontaktaufnahme mit seiner Erziehungsberechtigten zu belehren. Das AG hat nach Vernehmung der Polizeibeamten zu den Angaben des Bekl. am Unfallort ein Beweisverwertungsverbot verneint und den Bekl. verurteilt.

Die Berufung des Bekl. hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen:

" … Die zulässige Berufung des Bekl. hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene stattgebende Urteil ist abzuändern, weil die Klage im vollen Umfang abzuweisen ist. Die Kl. hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 823, 828, 249 BGB, 25 Abs. 3 StVO. Den Beweis für die einen solchen Anspruch begründende unerlaubte Handlung durch den Bekl. muss der Kl. als Anspruchsteller führen, was ihm nicht gelungen ist. Im Einzelnen:"

1. Eine unerlaubte Handlung des Bekl. durch einen haftungsbegründenden Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO läge nur dann vor, wenn dieser unter Missachtung einer für ihn “Rot’ zeigenden Ampel die Straße überquert hätte, was von ihm bestritten wird. Die Beweislast hierfür liegt beim Kl. Das AG hat es nach durchgeführter Beweisaufnahme als erwiesen angesehen, dass der Bekl., ohne auf die Lichtzeichenanlage zu achten, die Straße überquert hat, was letztlich zu dem Schaden beim Kl. geführt hat. Dies ist nicht frei von Rechtsfehlern, denn zu Recht rügt der Bekl. mit der Berufung, dass die Aussagen der Polizeibeamten hierzu vom AG nicht hätten verwertet werden dürfen, weil diese bei Vernehmung des Bekl. am Unfallort gegen ihre Belehrungspflicht verstoßen haben.

Zum Zeitpunkt der Unfallaufnahme waren die Polizeibeamten verpflichtet, den Bekl. zu belehren, weil sie ihn als Unfallversursacher und damit auch als Beschuldigten einer Ordnungswidrigkeit vernommen haben, §§ 46 OWiG, 136 StPO. Dabei war bei dem minderjährigen Bekl. zusätzlich eine Belehrung erforderlich, dass er berechtigt ist, vor einer Aussage zur Sache seine Eltern zu kontaktieren, § 67 JGG. Diese gesetzliche Regelung beruht auf der kriminologisch gesicherten Erkenntnis, dass jugendliche Beschuldigte gegenüber Erwachsenen eine deutlich höhere “Geständnisfreudigkeit’ aufweisen, also in geringerem Umfang in der Lage sind, auch bei ansonsten korrekter Belehrung über das Schweigerecht von ihrer Aussagefreiheit dahingehend Gebrauch zu machen, auf Angaben zur Sache möglicherweise zu verzichten. Das Recht auf Konsultation der Erziehungsberechtigten bzw. gesetzlichen Vertreter, welches in § 67 Abs. 1 und 2 JGG seinen Niederschlag findet, trägt zumindest auch und insb. diesem Umstand Rechnung und steht deshalb in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entschließungsfreiheit des jugendlichen Beschuldigten in Bezug auf seine Rechte gem. §§ 136, 163 a StPO (LG Saarbrücken, Urt. v. 31.7.2009 – 3 Ns 20 Js 26/08 (32/09), 3 Ns 32/09, Rn 22, juris)

Aus den Angaben der Polizeibeamten im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem AG ergibt sich jedoch, dass diese den Bekl. tatsächlich nicht über sein Konsultationsrecht belehrt haben.

Im hier zu entscheidenden Fall führt das bestehende Beweiserhebungsverbot (keine Vernehmung zur Sache ohne ordnungsgemäße Belehrung) auch zu einem Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess mit der Folge, dass das AG die Vernehmung der Polizeibeamten als Zeugen für seine Überzeugungsbildung nicht hätte verwerten dürfen.

Nach der Rspr. des BGH ist die strafprozessuale Belehrung des Beschuldigten (wegen § 46 OWiG auch jene nach dem Recht der Ordnungswid...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge