BGB § 323 § 434 § 439

Leitsatz

1. Ein Neuwagenkäufer, der die Entgegennahme des ihm angebotenen Fahrzeugs wegen vorhandener Karosserie- und Lackmängel ablehnt und deren Beseitigung verlangt, verliert hierdurch nicht den Anspruch darauf, dass das Fahrzeug technisch und optisch in einen Zustand versetzt wird, der der beim Neuwagenkauf konkludent vereinbarten Beschaffenheit "fabrikneu" entspricht.

2. Bei der im Rahmen des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung indiziert der Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung i.d.R. die Erheblichkeit der Pflichtverletzung (Bestätigung des Senatsurt. v. 17.2.2010 – VIII ZR 70/07, NJW-RR 2010, 1289).

BGH, Urt. v. 6.2.2013 – VIII ZR 374/11

Sachverhalt

Der Kl. bestellte im November 2009 bei der Bekl. Vertragshändlerin einen Pkw als Neuwagen zum Preis von 39.000 EUR. Der Kl. leistete hierauf eine Anzahlung von 10.000 EUR. Der Restbetrag sollte vereinbarungsgemäß über ein bei einer Bank aufgenommenes Darlehen bereitgestellt werden. Die am 29.12.2009 vorgesehene Fahrzeugübergabe scheiterte, weil der Kl. wegen Beschädigungen des Fahrzeugs im Bereich der linken hinteren Seitenwand und des Kofferraumdeckels die Entgegennahme verweigerte. Ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten gelangte zu dem Ergebnis, dass die linke hintere Seitenwand im Radbogenbereich verformt, die Stoßstange im hinteren linken Flankenbereich angeschlagen sowie Motorhaube und Kofferraumdeckel an der Lackoberfläche milchig blass seien. Nach einer von seinem Bevollmächtigten verlangten Nachbesserung, die auf ein weiteres Gutachten gestützt wurde, das die Nachbesserung für nicht ordnungsgemäß hielt, lehnte der Kl. am 14.1.2010 die ihm zum zweiten Mal angebotene Übergabe des Fahrzeugs erneut ab. Im März 2010 erklärte er schließlich den Rücktritt vom Kaufvertrag, nachdem die Bekl. unter Hinweis auf ein von ihr eingeholtes Gutachten sich auf die Mängelfreiheit des Fahrzeugs berufen hatte.

Das BG hat unter Abänderung des der Klage stattgebenden erstinstanzlichen Urteils die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kl., der aus zwischen den Parteien streitigen Gründen das Fahrzeug nach vorheriger Ablösung des hierfür aufgenommenen Kredits von der Bekl. ausgehändigt erhalten hat, in erster Linie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das BG.

Die Revision führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das BG.

2 Aus den Gründen:

[9] "… Zu Unrecht hat das BG den vom Kl. gem. § 323 Abs. 1 BGB erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag für unwirksam gehalten, weil es rechtsfehlerhaft die in den festgestellten Mängeln zum Ausdruck kommende Pflichtverletzung für unerheblich und den Rücktritt deshalb gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB für ausgeschlossen erachtet hat."

[10] 1. Das BG hat unangegriffen festgestellt, dass an dem als Neuwagen verkauften Fahrzeug auch bei dem zweiten Übergabeversuch noch Oberflächenverkratzungen und Lackschäden vorhanden waren, die von dem zu erwartenden gewöhnlichen Zustand eines Neufahrzeugs abweichen. Das begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Damit fehlte dem Fahrzeug die mit dem Vertragsschluss konkludent vereinbarte, dem Begriff “Neuwagen' innewohnende Beschaffenheit “fabrikneu'. Denn Fabrikneuheit verlangt, dass sich das Fahrzeug bei Übergabe an den Käufer in dem unbenutzten und unbeschädigten Zustand befindet, wie es vom Hersteller ausgeliefert worden ist (Senatsurt. v. 18.6.1980 – VIII ZR 185/79, a.a.O. unter II 2 c). Dieser Zustand war nach den festgestellten Oberflächenverkratzungen und Lackschäden nicht mehr gegeben. Zudem waren die am hinteren linken Radlauf ausgeführten Reparaturarbeiten nach den unangegriffenen Feststellungen des BG lediglich von “handwerklicher' und damit nicht von solcher Qualität, wie sie für einen werksseitigen Herstellungszustand bei Auslieferung des Fahrzeugs in unbeschädigtem Zustand zu erwarten war.

[11] 2. Zu Unrecht meint das BG allerdings – wie die Revision mit Recht rügt –, der Kl. könne aufgrund des von ihm erhobenen Nachbesserungsverlangens die fehlende Fabrikneuheit des Fahrzeugs nicht mehr als Mangel geltend machen oder sich darauf berufen, dass die von ihm verlangte Reparatur die Fabrikneuheit beseitigt habe. An diese Auslegung des Nachbesserungsverlangens des Kl. ist der Senat nicht gebunden. Zwar handelt es sich hierbei um eine Individualerklärung, deren tatrichterliche Auslegung nach der Rspr. des BGH in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt darauf überprüft werden kann, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen worden ist (vgl. nur Senatsurt. v. 7.2.2007 – VIII ZR 225/05, WM 2007, 1227 Rn 13 m.w.N.; vom 26.10.2011 – VIII ZR 108/10, juris Rn 12). Solche Rechtsfehler liegen hier jedoch vor, weil die Auslegung des BG, ohne dass besondere Umstände festgestellt o...

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