BGB § 254; EFZG § 6 Abs. 1; StVG § 9; StVO § 25 Abs. 3

Leitsatz

Überquert ein Fußgänger entsprechend den Vorgaben des § 25 Abs. 3 StVO unter Benutzung des Fußgängerüberwegs eine Straße, kann ihm bei einer Kollision mit einem Kfz nicht als Mitverschulen zur Last gelegt werden, seine Erkennbarkeit erschwerende dunkle Kleidung getragen zu haben.

(Leitsatz der Schriftleitung)

OLG München, Urt. v. 30.6.2017 – 10 U 4244/16

Sachverhalt

Die klagende Arbeitgeberin des bei einem Verkehrsunfall vom 18.1.2014 um 18.52 Uhr Geschädigten macht wegen der Fortzahlung des Gehaltes des Geschädigten den auf sie übergegangenen Verdienst des Geschädigten geltend. Der Bekl. zu 1), Halter des bei der Bekl. zu 2) haftpflichtversicherten Pkw kollidierte auf der ampelgesteuerten Fußgängerfurt beim Abbiegen nach links in eine Zufahrtstrasse zur BAB mit dem die Zufahrtstrasse überquerenden Geschädigten. Dieser erlitt schwere Verletzungen und war bis Juni 2015 arbeitsunfähig.

Die Bekl. wandten gegen ihre Haftung u.a. ein, ein Mitverschulden des Geschädigten folge daraus, dass er trotz schwieriger Sichtverhältnisse bei fehlendem Tageslicht dunkel gekleidet und deshalb schwer erkennbar gewesen sei. Das LG hat diesen Einwand für begründet gehalten und deshalb ein Mitverschulden des Geschädigten, das sich die Kl. entgegen halten lassen müsse, von 20 % angenommen. Die Berufung der Kl. hatte überwiegend – mit Abstrichen hinsichtlich der Höhe der übergangsfähigen Ansprüche – Erfolg.

2 Aus den Gründen:

" … I. Die Berufung der Kl. ist überwiegend begründet."

Dem Grunde nach haften die Bekl. (samtverbindlich) nicht nur zu 80 %, sondern zu 100 %.

Abzüge von der Klageforderung waren lediglich im Hinblick darauf vorzunehmen, dass es sich bei den von der Kl. an den Zeugen Dr. K geleisteten Provisionszahlungen nicht im vollen streitgegenständlichen Umfang um Entgeltfortzahlungen handelte und dass zudem ersparte berufsbedingte Aufwendungen des Zeugen Dr. K zu berücksichtigen waren.

1.) Der Senat hält hinsichtlich der Haftungsverteilung an seiner Rechtsauffassung fest, wie sie bereits in der Verfügung vom 9.1.2017 dargelegt worden ist. Demnach gilt Folgendes:

Aufgrund der vom Erstgericht in nicht zu beanstandender Weise getroffenen und daher den Senat gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden Feststellungen ist die Haftung entgegen dem Ersturteil nicht im Verhältnis 20 %:80 % zu Lasten der Bekl. zu verteilen, sondern im Verhältnis 0 %:100 % zu Lasten der Bekl.

a) Wie auch vom Erstgericht insoweit noch zutreffend ausgeführt, trifft den Bekl. zu 1) – und damit gem. § 115 Abs. 1 VVG auch die Bekl. zu 2) – eine (verschuldensunabhängige) Gefährdungshaftung. Damit haften die Bekl. samtverbindlich grds. zu 100 %. Ihnen obliegt es, dem Zeugen Dr. K ein Mitverschulden (§ 9 StVG i.V.m. § 254 BGB) nachzuweisen.

b) Entgegen der Bewertung im Ersturteil tragen die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht den Vorwurf eines Mitverschuldens des Zeugen Dr. K.

aa) Zunächst ist es im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass sich das Erstgericht keine Überzeugung davon gebildet hat, dass der Zeuge Dr. K trotz für ihn geltenden Rotlichts die Straße überquert hätte. Gem. den Ausführungen des SV M ist es möglich, dass gleichzeitig für den Bekl. zu 1) und den Zeugen Dr. K jeweils Grünlicht angezeigt wurde.

bb) Unstreitig – und als solches auch im Tatbestand des Ersturteils festgestellt – ist weiterhin, dass der Zeuge Dr. K die Fußgängerfurt benutzte, also nicht gegen § 25 Abs. 3 S. 2 StVO verstieß.

cc) Schließlich konnte auch nicht nachgewiesen werden, dass für den Zeugen Dr. K das herannahende Fahrzeug des Bekl. zu 1) ausreichend lange sichtbar gewesen wäre und er bei entsprechendem Verzicht auf die Überquerung der Fußgängerfurt den Unfall hätte vermeiden können, wie es den vom Senat mit Urteil vom 16.9.2016 (10 U 750/13, juris) entschiedenen Fall prägte. Gem. den Ausführungen des SV M ist es nämlich aus technischer Sicht nicht zu klären, ob der Beklagten-Pkw schon am Linksabbiegen war, als der Fußgänger die Fahrbahn betrat. Wann letzteres genau der Fall gewesen sein sollte, haben auch weder der Zeuge Dr. K selbst noch der Bekl. zu 1) noch der Zeuge A bekundet.

dd) Soweit das Erstgericht bei dieser Sachlage den Mitverschuldensvorwurf darauf stützt, dass der Zeuge Dr. K bei fehlendem Tageslicht und auch im Übrigen schwierigen Sichtbedingungen dunkel gekleidet die Fußgängerfurt überquerte, kann dies keinen Bestand haben Wer als Fußgänger ordnungsgemäß, d.h. entsprechend den Vorgaben des § 25 Abs. 3 StVO, eine Straße überquert, muss sich nicht im Hinblick auf die Farbe seiner Kleidung einen Mitverschuldensvorwurf gefallen lassen. Alles andere würde nicht nur der Rechtsordnung widersprechen, sondern auch der Lebenswirklichkeit. Wie in der Berufungsbegründung zutreffend ausgeführt, betreffen die beiden vom Erstgericht zitierten Urteile des OLG Saarbrücken (v. 3.11.2009 – 4 U 306/09, juris) und des KG (vom 21.1.2010 – 12 U 29/09, juris) keine vergleichbaren Sachverhalte. Denn dort ging es jeweils um Fußgänger, welche nicht innerhalb einer ...

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