" … 1. Dem Kl. steht kein Leistungsanspruch aus dem mit der Bekl. abgeschlossenen Versicherungsvertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu, weil die Bekl. diesen Vertrag mit Schreiben v. 7.3.2013 wirksam gem. § 22 VVG i.V.m. § 123 BGB angefochten hat. Gem. § 142 Abs. 1 BGB ist der Vertrag damit als von Anfang an nichtig anzusehen."

a. Es kann offenbleiben, ob eine arglistige Täuschung der Bekl. darin liegt, dass der Kl. durch Ankreuzen der vorgedruckten Erklärung zu seinem Gesundheitszustand in dem Versicherungsantrag v. 25.3.2010 die Angabe machte, dass er bei Antragstellung fähig gewesen sei, in vollem Umfang seiner Berufstätigkeit nachzugehen. Gegen die Annahme einer bewusst wahrheitswidrigen Angabe spricht in diesem Zusammenhang jedoch, dass sich ungeachtet der bei dem Kl. bereits seit 2002 bestehenden MS-Erkrankung und der bereits vor Antragstellung erfolgten Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft durch das Versorgungsamt ausweislich der betriebsärztlichen Bescheinigung v. 20.3.2014 bei der betriebsärztlichen Untersuchung am 27.9.2010 noch “keine spezifischen Anzeichen für eine Beeinträchtigung bezüglich der Ausübung des Berufes' aufgrund der konkreten Ausgestaltung des dem Kl. zugewiesenen Arbeitsplatzes ergeben hatten und dass der Kl. seinen Beruf als Orthopädietechniker im Zeitpunkt der Antragstellung auch tatsächlich noch ausübte.

b. Die von der Bekl. erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist jedenfalls deswegen begründet, weil der Kl. arglistig gefahrerhebliche Umstände, zu deren Offenbarung er nach Treu und Glauben verpflichtet war, verschwiegen hat.

aa. Ob eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung wegen des Unterlassens der Angabe von offenbarungspflichtigen Umständen auch dann in Betracht kommt, wenn diese Umstände vom VR – wie hier – bei Vertragsschluss nicht ausdrücklich erfragt wurden, oder ob die Anfechtung in einem solchen Fall durch § 19 VVG ausgeschlossen ist, ist umstritten und bislang, soweit ersichtlich, noch nicht höchstrichterlich oder obergerichtlich entschieden worden (vgl. die Nachweise bei Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 22 Rn 3). Nach der wohl überwiegenden Auffassung im Schrifttum wird die Anfechtung in einem solchen Fall durch § 19 VVG nicht ausgeschlossen. Dieser Auffassung ist zu folgen. Die Beschränkung der Anzeigepflicht auf eine Antwortpflicht soll den VN nämlich von dem Risiko entlasten, die Anzeigepflicht (wenn auch schuldlos) infolge einer Fehleinschätzung der Gefahrerheblichkeit eines Umstandes zu verletzen. Geht der VN aber selbst davon aus, dass die Kenntnis des VR von bestimmten Umständen trotz des Fehlens entsprechender Fragen dessen Entscheidung beeinflusst, was Voraussetzung einer Täuschung ist, dann ist er diesem Risiko nicht ausgesetzt, weil das Unterbleiben ordnungsgemäßer Fragen keinerlei Rolle für sein Verhalten gegenüber dem VR spielt. Daher kann das Unterbleiben auch eine Offenbarungspflicht nicht hindern. Das bedeutet, dass eine solche Pflicht jedenfalls besteht, wenn es um Umstände geht, die auch nach der Einschätzung des VN trotz des Unterbleibens diesbezüglicher Fragen gefahrerheblich sind (so zutreffend Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., Rn 3). § 22 VVG verweist im Übrigen ohne jede Einschränkung auf das Recht zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB. Im Rahmen der Arglistanfechtung nach § 123 BGB ist aber bereits seit langem anerkannt, dass eine Täuschung auch durch Verschweigen von offenbarungspflichtigen Umständen erfolgen kann. Hätte der Gesetzgeber im Versicherungsvertragsrecht die Arglistanfechtung auf fehlerhafte Angaben zu gefahrerheblichen Umständen, die der VR in Textform ausdrücklich erfragt hat, beschränken wollen, hätte es nahegelegen, eine solche Beschränkung in § 22 VVG – der dann freilich weitgehend leerliefe – zum Ausdruck zu bringen.

bb. Indem der Kl. bei Antragstellung gegenüber (dem Versicherungsvertreter) der Bekl. nicht angab, dass er an einer multiplen Sklerose leidet, die erstmals im Jahr 2002 diagnostiziert und wegen der er seitdem fortlaufend ärztlich behandelt wurde, hat er einen gefahrerheblichen Umstand, der für die Bereitschaft der Bekl., den Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu den von ihr angebotenen Konditionen abzuschließen, von erheblicher Bedeutung war, arglistig verschwiegen.

(1) Beim Abschluss von Verträgen besteht grds. eine Offenbarungspflicht über solche Umstände, hinsichtlich derer der Vertragspartner nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Umstände, die für die Willensbildung des Vertragspartners offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind, müssen ungefragt offenbart werden. Das gilt vor allem für Umstände, die geeignet sind, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. … Auf den Versicherungsvertrag bezogen bedeutet dies, dass jedenfalls diejenigen Umstände offenbart werden müssen, die ein durchschnittlicher VN für gefahrerheblich...

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