[29] "… das Gericht [hat] nach § 279 Abs. 3 ZPO in der Neufassung durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses v. 27.7.2001 (BGBl I S. 1887) im Anschluss an die Beweisaufnahme nicht nur den Sach- und Streitstand, sondern – soweit möglich – auch das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern. Ob das Gericht den Parteien nicht nur Gelegenheit zur Erörterung des Beweisergebnisses gem. § 285 Abs. 1 ZPO zu geben und dies zu protokollieren hat (vgl. BGH, Urt. v. 12.12.2008 – V ZR 106/97, Rn 11, MDR 2009, 374 = NJW-RR 2009, 515 … ), was hier nach dem Sitzungsprotokoll erfolgt ist, sondern ihnen auch eine zumindest vorläufige Beweiswürdigung mitteilen muss, ist streitig."

[30] Nach einer Ansicht ist das Gericht, falls es den Beweis als nicht erbracht ansieht, nach § 279 Abs. 3 ZPO verpflichtet, der beweisbelasteten Partei einen entsprechenden Hinweis gem. § 139 Abs. 1 ZPO zu erteilen (KG, Grundeigentum 2014, 418; Greger, NJW 2002, 3049, 3050; ders. in Zöller, ZPO, 31. Aufl. § 279 Rn 5 anders aber zu § 139 Rn 16; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 13. Aufl., § 139 Rn 14; PG/Geisler, ZPO, 7. Aufl., § 279 Rn 4; für eine grundsätzliche Pflicht zur Mitteilung der beabsichtigten Beweiswürdigung nach einer nicht komplexen Beweisaufnahme: Gehrlein, MDR 2003, 421, 422; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, 4. Aufl., § 279 Rn 19).

[31] Dem steht die Auffassung gegenüber, dass die Verfahrensvorschrift das Gericht zwar verpflichte, das Ergebnis der Beweisaufnahme unter Hinweis auf die von ihm für wesentlich erachteten Aspekte zu erörtern und den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, die Norm aber das Gericht grds. nicht zu einer eigenen Beweiswürdigung im Anschluss an die Beweisaufnahme und zu deren Bekanntgabe an die Parteien zwinge (BVerwG NVwZ 2003, 1132; Schulz/Sticken, MDR 2005, 1, 5; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 279 Rn 11; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO, 4. Aufl., § 285 Rn 1). Eines richterlichen Hinweises nach § 139 Abs. 1 ZPO, dass der Beweis nach Ansicht des Gerichts nicht geführt sei, bedürfe es nur, wenn eine entsprechende Würdigung erst im Urteil eine für die Partei unzulässige Überraschungsentscheidung darstellte (HK-ZPO/Wöstmann, 6. Aufl., § 139 Rn 5 unter Hinweis auf die zu § 278 Abs. 3 ZPO a.F. ergangene Entscheidung: BGH, Beschl. v. 13.6.1989 – VI ZR 216/88, MDR 1989, 1091 = NJW 1989, 2756, 2757).

[32] In dem letztgenannten Fall bejaht auch der BGH eine Hinweispflicht des Gerichts. Musste die Partei nach dem Verlauf der Beweisaufnahme nicht damit rechnen, dass das Gericht den Beweis als nicht geführt ansehen wird, darf ihr nicht die Möglichkeit abgeschnitten werden, durch neue Beweisanträge oder Richtigstellungen auf das Ergebnis der Beweisaufnahme noch Einfluss zu nehmen (BGH, Beschl. v. 15.3.2006 – IV ZR 146/05, juris Rn 5). Offen gelassen hat er bisher die Frage, ob das Gericht nach § 279 Abs. 3 ZPO allgemein die Beweise unmittelbar im Anschluss an eine Beweisaufnahme zu würdigen, das Ergebnis den Parteien zu offenbaren und ggf. die Benennung weiterer Beweismittel anzuregen hat (BGH, Beschl. v. 15.3.2006 – IV ZR 146/05, a.a.O.).

[33] Der Senat entscheidet die Frage dahin, dass § 279 Abs. 3 ZPO das Gericht grds. nicht verpflichtet, im Anschluss an die Beweisaufnahme seine vorläufige Beweiswürdigung mitzuteilen, um den Parteien damit Gelegenheit zu geben, weitere Beweismittel anzubieten. Gegen eine allgemeine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO spricht schon der Wortlaut der Norm, nach der das Gericht im Anschluss an die Beweisaufnahme das Beweisergebnis “soweit möglich' mit den Parteien erörtern soll. Dieses Normverständnis entspricht dem nach den Materialien mit der Gesetzesänderung verfolgten Zweck; danach soll die Erörterung unter Einbeziehung des Ergebnisses der vorangegangen Beweisaufnahme dazu dienen, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken (BT-Drucks 14/4722, S. 84). Mit der gegenteiligen Auffassung würde der Grundsatz unterlaufen, dass die Partei ihre Zeugen zu einem Beweisthema dem Gericht rechtzeitig vor dem zur Beweisaufnahme bestimmten Termin zu benennen hat und ihre Beweismittel nicht sukzessive – je nach dem Ergebnis der richterlichen Beweiswürdigung – in den Rechtsstreit einführen darf. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Berufung nach der Umgestaltung ihrer Funktion durch das Zivilprozessrechtsreformgesetz in erster Linie der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung dient, weshalb neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz nur noch in besonderen Ausnahmefällen berücksichtigt werden (BT-Drucks 14/4722 S. 101; BGH, Urt. v. 22.1.2004 – V ZR 187/03, MDR 2004, 700 = WM 2004, 1499, 1500). Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber aus diesem Grund beabsichtigt hätte, in der ersten Instanz Erleichterungen bei der Pflicht zur rechtzeitigen Beibringung der Angriffs- und Verteidigungsmittel einzuführen, gibt es nicht. Die in diesem Zusammenhang einschlägigen Vorschriften über die Rechtzeitigkeit des Vorbringens (§ 282 Abs. 1 ZPO) und die Präklusion ve...

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