[6] "… I. Das BG hat einen Schmerzensgeldanspruch des Kl. gegen den Bekl. aus §§ 829, 253 Abs. 2 BGB verneint. In die Beurteilung der Billigkeit seien alle tat-, täter- und geschädigtenbezogenen Umstände einzubeziehen. Ein wesentlicher Gesichtspunkt sei dabei die wirtschaftliche Situation der Parteien. Hier liege ein wirtschaftliches Gefälle nicht zugunsten des drogenabhängigen und in Ausbildung befindlichen Bekl., sondern allenfalls zugunsten des in ungekündigter Stellung bei der Deutschen Bahn AG befindlichen Kl. vor. Anhaltspunkte dafür, dass der Bekl. in Zukunft zu einem großen Vermögen kommen könnte, bestünden nicht. Der Umstand, dass der Kl., der bereits mehrfach Suizide habe erleben müssen, den Bekl. durch seine sofortige Reaktion vor Verletzungen bewahrt habe, so dass dieser unversehrt aus dem Gleisbett habe steigen können, während der Kl. nach dem Vorfall psychisch erkrankt und über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig gewesen sei, mache eine Schmerzensgeldzahlung nicht notwendig. Die Funktion der Billigkeitshaftung, die als Ausfallhaftung in besonderen Ausnahmefällen zu begreifen sei, liege nicht im Dank für eine besondere Leistung, sondern es müsse ein deutliches Gefälle der Umstände zuungunsten des Schädigers sprechen. Ein solches sei auch deshalb zu verneinen, weil Lokführer von Berufs wegen dem besonderen Risiko aus gesetzt seien, “Opfer eines Selbstmörders' zu werden. Der Gedanke der Selbstaufopferung könne Ansprüche aus §§ 670, 683 BGB analog begründen, nicht aber Schadensersatzansprüche i.S.v. § 253 Abs. 2 BGB, und sei daher bei der Abwägung im Rahmen des § 829 BGB nicht zugunsten des Kl. zu berücksichtigen. Ferner habe unberücksichtigt zu bleiben, dass der Bekl. über seine Mutter privathaftpflichtversichert sei; dies allein könne nicht zur Bejahung der Billigkeitshaftung führen, sondern allenfalls für die Höhe eines zu zahlenden Betrags von Bedeutung sein."

[7] II. Diese Erwägungen halten im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Da eine Haftung des Bekl. für die von ihm verursachte Verletzung der Gesundheit des Kl. gem. § 823 Abs. 1 BGB mangels Verantwortlichkeit des Bekl. ausscheidet (§ 827 BGB) und Ersatz des Schadens nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten verlangt werden kann, kommt allein eine Ersatzpflicht aus Billigkeitsgründen gem. § 829 BGB in Betracht. Das BG hat eine solche Billigkeitshaftung im Ergebnis rechtsfehlerfrei verneint.

[8] 1. Die tatrichterliche Entscheidung, ob die Billigkeit nach den Umständen eine Schadloshaltung erfordert, ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter wesentliche Gesichtspunkte übersehen oder aus rechtsirrigen Erwägungen in ihrer Bedeutung verkannt hat (vgl. Senat v. 15.1.1957 – VI ZR 135/56, BGHZ 23, 90, 100 = VersR 1957, 219, 221).

[9] Dabei muss bedacht werden, dass die verschuldensunabhängige Haftung aus § 829 BGB im deliktischen Haftungssystem eine Ausnahme bildet. Deswegen ist, entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift, nach st. Rspr. des Senats ein Schadensersatzanspruch aus § 829 BGB nicht schon dann zu gewähren, wenn die Billigkeit es erlaubt, sondern nur dann, wenn die gesamten Umstände des Falls eine Haftung des schuldlosen Schädigers aus Billigkeitsgründen geradezu erfordern (Vereinigte Große Senate v. 16.9.2016 – VGS 1/16, VersR 2017, 180 Rn 36, Senat v. 24.6.1969 – VI RZ 15/68, VersR 1969, 860 = NJW 1969, 1762; v. 11.10.1994 – VI ZR 303/93, BGHZ 127, 186, 192 = VersR 1995, 96, 98). Schon dieser Ausnahmecharakter des § 829 BGB zwingt dazu, die Voraussetzungen, unter denen eine Schadloshaltung des Geschädigten als billig anzusehen ist, hoch anzusetzen (Senat BGHZ 127, 186, 193 = VersR 1995, 96, 98).

[10] Gem. § 829 BGB sind insb. die Verhältnisse der Beteiligten zu berücksichtigen, wobei maßgeblicher Zeitpunkt derjenige der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ist (Senat vom 24.4.1979 – VI ZR 8/78, VersR 1979, 645). Dazu bedarf es stets eines Vergleichs der Vermögenslagen der Beteiligten, wobei für einen Anspruch aus § 829 BGB ein “wirtschaftliches Gefälle' zugunsten des Schädigers vorliegen muss (Senat VersR 1979, 645; v. 18.12.1979 – VI ZR 27/78, BGHZ 76, 279, 284 = VersR 1980, 625, 626; vgl. auch Senat v. 13.6.1958 – VI ZR 109/57, VersR 1958, 485, 496 = NJW 1958, 1630, 1631). Als ein für die Vermögenslage des Schädigers bedeutsamer Umstand ist das Bestehen einer Pflichtversicherung wie der Kfz-Pflichthaftpflichtversicherung anzuerkennen, da deren Zweck in erster Linie auf den Schutz des Geschädigten ausgerichtet ist. Diese besondere Zweckbestimmung der Pflichthaftpflichtversicherung im Kraftfahrzeugverkehr rechtfertigt im Rahmen des § 829 BGB die Durchbrechung des Trennungsprinzips, demzufolge die Eintrittspflicht des VR der Haftung folgt und nicht umgekehrt die Haftung der Versicherung (Senat v. 3.12.1991 – VI ZR 378/90, BGHZ 116, 200, 209 = VersR 1992, 437, 439; BGHZ 127, 186, 192 = VersR 1995, 96, 98; zum Trennungsprinzip s. BGH v. 1.10.2008 – IV ZR 285/06, VersR...

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