" … Die geänderte Klage ist überwiegend begründet."

Der Kl. hat gem. § 192 Abs. 6 S. 1 2. Alt. VVG, §§ 1 I., 6 I. AVB i.V.m. den Bedingungen des Tarifs PTF einen Anspruch auf Zahlung des verlangten Pflegetagegeldes für den Zeitraum vom 1.1.2014 bis zum 1.2.2015 i.H.v. insgesamt 19.850 EUR. Der streitgegenständliche Krankenversicherungsvertrag besteht weiterhin. Weder die Anfechtung der Bekl. noch der von ihr erklärte Rücktritt greifen durch.

1. Der Versicherungsvertrag ist nicht durch die Anfechtung der Bekl. rückwirkend unwirksam geworden, §§ 22 VVG, 123, 143 f. BGB.

a) Es fehlt bereits an dem objektiven Tatbestand einer Täuschung.

aa) Die in dem Antragsformular gestellten Gesundheitsfragen hat der Kl. nicht falsch beantwortet.

(1) Die Frage P1 ist nicht falsch beantwortet worden. Die Bekl. macht dies auch nicht geltend. Bezogen auf ein Kleinkind ist die Frage nach Pflegebedürftigkeit dahin zu verstehen, ob ein – krankheitsbedingter – Pflegebedarf besteht, der über die übliche Kinderpflege und -betreuung hinausgeht. Die Bekl. hat nicht vorgetragen, dass bereits bei Antragstellung Pflegebedürftigkeit vorgelegen habe. Dies ergibt sich auch nicht aus dem vorliegenden Pflegegutachten und dem ärztlichen Attest. In beiden wird eine Pflegebedürftigkeit seit Dezember 2013 festgestellt. Nach dem Vorbringen der Bekl. habe lediglich die Gefahr bestanden, dass das versicherte Kind pflegebedürftig werden könne. Hiernach ist jedoch nicht gefragt worden.

(2) Auch die Frage P2 ist nicht falsch beantwortet worden. Gefragt worden ist nicht nach Untersuchungen, sondern nur nach bestehenden Krankheiten. Unter Berücksichtigung der vorgegebenen Antwort-Alternativen (ja/nein), kann sich die Frage nur darauf beziehen, ob die erfragten Krankheiten bereits festgestellt worden sind. Nur bei diesem Verständnis kann die Frage entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden. Wenn “nein’ hingegen dahin verstanden würde, dass das Bestehen dieser Krankheit ausgeschlossen ist, hätte auch mindestens eine Antwortmöglichkeit für Zweifelsfälle vorgesehen werden müssen (“möglich’, “nicht auszuschließen’ oder dergleichen). Da viele der erfragten Krankheiten (etwa Krebserkrankungen) vorliegen können, ohne dass sie gleich entdeckt werden, kann die Bekl. die Frage redlicherweise nur bezogen auf festgestellte Diagnosen gemeint haben und nicht etwa dahin, dass nach bloßen Möglichkeiten, Befürchtungen, etc. gefragt wird.

Die Frage bezieht sich nicht auf jegliche Erkrankungen, sondern ausdrücklich nur auf die aufgezählten Krankheiten, die die Bekl. für gefahrerheblich hält. Von diesen kommen hier von vornherein nur Erkrankungen des Gehirns oder des Nervensystems in Betracht. Aber auch diese waren zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht diagnostiziert worden.

In dem U6-Untersuchungsbogen war eine motorische Entwicklungsverzögerung vermerkt worden. Entgegen der Auffassung des Kl. dürfte es sich hierbei zwar nicht um eine bloße Verdachtsdiagnose handeln. Auch die bereits durchgeführten Operationen sind dort in der Spalte “abzuklärende Verdachtsdiagnosen’ aufgeführt, während sich die zugehörigen ICD-Codes in der Spalte “gesicherte Diagnosen’ befinden. Dies zeigt, dass es sich insgesamt nicht nur um Verdachtsdiagnosen handelte. Hierfür spricht auch der vorangegangene Eintrag, mit dem bereits die altersgemäße Entwicklung des Kindes verneint worden ist. Eine (motorische) Entwicklungsverzögerung ist jedoch – jedenfalls aus der Sicht eines medizinischen Laien – nicht als Erkrankung des Gehirns oder des Nervensystems anzusehen. Entwicklungsverzögerungen können verschiedene Ursachen haben. In der Klagerwiderung wird offensichtlich aus Wikipedia zitiert, allerdings nicht wortgetreu und unvollständig. Wörtlich heißt es dort (Unterstreichungen durch den Senat):

“Eine Entwicklungsverzögerung kann Folge von vielfältigen Schädigungen des Gehirns während der Schwangerschaft, der Geburt oder in der frühen Kindheit sein. Dazu gehören angeborene oder erworbene Erkrankungen des Nervensystems, beispielsweise erbliche Stoffwechselerkrankungen, Hirnhautentzündungen, Folgen eines Sauerstoffmangels unter der Geburt oder Unfälle mit Schädel-Hirn-Verletzungen. Auch traumatische Erlebnisse in der Biographie des Kindes können Entwicklungsverzögerungen zur Folge haben. Ein unzureichendes Angebot an Reizen und Erfahrungen oder der Entzug und verminderte emotionale Beziehungen zu dem Kind (Deprivation) können ebenfalls Gründe für eine Entwicklungsverzögerung sein. Bei 75 % der Entwicklungsverzögerungen kann keine medizinische Grundlage als Ursache gefunden werden (Stand 2006), zu viele ungeklärte und verborgene Mechanismen wirken hier. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen, was eine geschlechtsspezifische Ausprägung mit einem erblichen Zusammenhang aufzeigt.’

Dass hier eine Erkrankung des Gehirns oder Nervensystems die Ursache war, war für den Kl. nicht ersichtlich. Dies ergab sich auch nicht aus den weiteren vor Antragstellung durchgeführten Untersuchungen. Aus der zur Abklärung durchgefüh...

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