Der BGH hat sich leider in dieser für die Praxis so wichtigen Frage der absoluten Mindermeinung angeschlossen.

I. Die Gegenauffassung

Die Gegenmeinung sieht das seit Jahrzehnten anders. Danach sind die Kosten des Bekl. oder Antragsgegners bzw. Rechtsmittelbeklagten oder Rechtsmittelgegners auch dann erstattungsfähig, wenn weder ihm noch seinem Prozess- bzw. Verfahrensbevollmächtigten im Zeitpunkt der die Verfahrensgebühr auslösenden Tätigkeit bekannt war oder bekannt sein musste, dass die Klage, der Antrag bzw. das Rechtsmittel bereits zurückgenommen war, so BAG RVGreport 2012, 349 (Hansens), KG JurBüro 1974, 1271 und NJW 1975, 125; OLG Hamburg JurBüro 1998, 303 und RVGreport 2013, 439 (Ders.); OLG Köln JurBüro 1991, 930 und JurBüro 1995, 641; OLG Naumburg JurBüro 2003, 419 = AGS 2003, 324 mit Anm. N. Schneider; OLG Oldenburg JurBüro 1987, 682 für die Rücknahme eines Verfügungsantrags; OLG Celle RVGreport 2010, 195 (Ders.); OLG München AnwBl. 1985, 44 und RVGreport 2011, 29 (Ders.) = zfs 2011, 169 mit Anm. Hansens = AGS 2011, 44 = JurBüro 2011, 90; OLG Hamm RVGreport 2013, 63 (Ders.); OLG Hamburg RVGreport 2013, 439 (Ders.); OLG Frankfurt JurBüro 1983, 83 und RVGreport 2015,186 (Ders.); Hansens, RVGreport 2014, 95,97; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 91 Rn 13 "Klagerücknahme").

Ärgerlich ist es auch, dass der BGH noch nicht einmal die gegenteilige Auffassung des BAG RVGreport 2012, 350 (Hansens) = AGS 2013, 98 erwähnt, geschweige denn sich mit ihr auseinandergesetzt hat. Das BAG hatte in jenem Fall die Nichtzulassungsbeschwerde des Kl. durch Beschl. v. 25.8.2010 zurückgewiesen. Am 6.9.2010 hatten die Bekl. die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt. Die Erstattungsfähigkeit der hierdurch angefallenen Verfahrensgebühr hat das BAG damit begründet, der Zurückweisungsantrag sei in Unkenntnis des Beschl. v. 25.8.2010 erfolgt, der den Beklagtenvertretern erst am 9.9.2010 zugegangen war.

II. Die Argumentation des BGH

1. Maßstab für die Notwendigkeit

Zutreffend ist der Ausgangspunkt des BGH, Maßstab für die Notwendigkeit von Kosten sei, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt der Aufwendungen der Kosten als sachdienlich ansehen durfte. Dies muss allerdings im Zusammenhang mit der Regelung des § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO gesehen werden, wonach die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei kraft Gesetzes als zweckentsprechende Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzusehen sind. Hieraus folgt, dass eine Partei im Prozess einen Rechtsanwalt zu Hilfe nehmen darf und die dadurch entstandenen Kosten auch erstattungsfähig sind (siehe hierzu etwa BGH BRAGOreport 2003, 53 [Hansens] = AGS 2003, 219). Dies hat wiederum zur Folge, dass die grds. erstattungsfähigen gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts ausnahmsweise nur dann nicht erstattungsfähig sind, wenn die Partei ihrer Verpflichtung, die Kosten möglichst gering zu halten, nicht nachgekommen ist. Folglich kann die Erstattung von Anwaltskosten ausnahmsweise dann nicht verlangt werden, wenn für die Tätigkeit des Rechtsanwalts kein Anlass bestand. Für die Frage, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei in der Situation der hiesigen Bekl. den Berufungszurückweisungsantrag als sachdienlich ansehen durfte, muss natürlich auch auf deren Kenntnisstand abgestellt werden (so BAG a.a.O.).

Diese subjektive Sicht beherrscht das gesamte Erstattungsrecht auch in der Rspr. des BGH. So stellt etwa der BGH in seiner Grundsatzentscheidung BRAGOreport 2003, 13 (Hansens) = AGS 2003, 309 zur Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Unterbevollmächtigten/Terminsvertreters auch darauf ab, ob ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung erforderlich ist, was der BGH bei einem gewerblichen Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung verneint. Zur Erstattungsfähigkeit von Privatgutachtenkosten hat der BGH RVGreport 2012, 303 (Ders.) ausgeführt, diese seien ausnahmsweise nur dann erstattungsfähig, wenn die Partei infolge fehlender Sachkenntnisse nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage sei. Diese Voraussetzungen seien dann nicht erfüllt, wenn die Partei aufgrund ihres Berufs als Bauingenieur über ausreichende allgemeine Kenntnisse im Bauwesen verfügt, um sachgerechte Einwendungen ohne die Unterstützung eines speziellen Privatgutachters vorbringen zu können. Diese Reihe ließe sich fortsetzen. Warum es für die Kenntnis eines Rücknahmeschriftsatzes in Abweichung dieser Rspr. auf einmal auf die objektive Sicht ankommen soll, erschließt sich mir nicht.

2. Die vorherige Nachfrage bei Gericht

Das Argument des BGH, die Bekl. hätten hier durch eine – ggf. telefonische – Nachfrage bei Gericht rasch und problemlos klären können, ob die Kl. etwa ihr Rechtsmittel bereits zurückgenommen habe, zeigt, dass die Kollegen vom BGH von der Praxis doch ein weites Stück entfernt sind. Angesichts der knappen Personalausstattung der Gerichte ist es eher ein Ausnahmefall,...

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