BGB § 254; StVG § 9

Leitsatz

Kollidiert ein Radfahrer im öffentlichen Straßenverkehr mit einem anderen – sich verkehrswidrig verhaltenden – Verkehrsteilnehmer (Kfz, Radfahrer usw.) und erleidet er infolge des Sturzes unfallbedingte Kopfverletzungen, die ein Fahrradhelm verhindert oder gemindert hätte, muss er sich grds. ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms anrechnen lassen.

OLG Schleswig, Urt. v. 5.6.2013 – 7 U 11/12 (nicht rk.)

Sachverhalt

Die Kl. begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht der Bekl. wegen eines zu ihrer Schädigung führenden Verkehrsunfalls. Die Kl. fuhr am Unfalltag mit ihrem Fahrrad auf dem Weg zu ihrer physiotherapeutischen Praxis. Sie trug keinen Fahrradhelm. Am rechten Fahrbahnrand parkte die Bekl. zu 1) mit ihrem Pkw, der bei der Bekl. zu 2) haftpflichtversichert ist. Die Bekl. zu 1) öffnete unmittelbar vor der sich nähernden Kl. die Fahrertür ihres PKW, so dass die Kl. nicht mehr ausweichen konnte und gegen die Fahrertür prallte. Die Kl. stürzte zu Boden, fiel auf den Hinterkopf und zog sich schwere Schädel-Hirnverletzungen zu, nämlich einen zweifachen Schädeldachbruch am Stirnbein und hohem Scheitelbein linksseitig und Blutungen sowie Hirnquetschungen rechtsseitig. Die Behandlung der Kl. dauerte zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils an. Inzwischen übt die Kl. ihren Beruf wieder aus.

Zwischen den Parteien ist die alleinige Verursachung des Unfalls durch die Bekl. zu 1) unstreitig. Streitig ist allein die Frage, ob die Kl. ein Mitverschulden trifft, weil sie keinen Helm beim Radfahren getragen hat. Die Bekl. sind von einem hälftigen Mitverschulden der Kl. ausgegangen, weil diese keinen Schutzhelm getragen habe. Das LG hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und in dem fehlendem Tragen eines Schutzhelms kein Mitverschulden gesehen: Die Berufung der Bekl., die ihre Eintrittspflicht i.H.v. 50 % anerkannt haben, macht geltend, dass die Kl. mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Schädel-Hirntrauma erlitten hätte, wenn sie einen geeigneten Fahrradhelm getragen hätte. Durch das Unterlassen des Tragens eines Helms beim Radfahren habe die Kl. dem Gebot in vorwerfbarer Weise zuwider gehandelt, die eigenen Interessen zu wahren, so dass sie ein Mitverschulden treffe.

Das BG hat nach Einholung eines neurologischen Gutachtens die Berufung für teilweise begründet erachtet und die Revision zugelassen.

2 Aus den Gründen:

[17] "… Die von der Kl. erhobene Feststellungsklage ist nach wie vor zulässig, da ihr Feststellungsinteresse zumindest bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LG im Dezember 2011 vorgelegen hat. Zu jenem Zeitpunkt war es der Kl. noch nicht möglich, eine bezifferte Leistungsklage zu erheben, weil ihre ärztliche Behandlung und ihre berufliche Wiedereingliederung noch nicht abgeschlossen waren."

[18] Dies hat sich inzwischen geändert, denn es sind seither anderthalb Jahre vergangen und die Kl. übt mittlerweile wieder vollumfänglich ihren Beruf als selbständige Physiotherapeutin aus.

[19] Nach st. Rspr. ist der Anspruchsteller aber – jedenfalls in zweiter Instanz – nicht gezwungen, zu bezifferter Leistungsklage überzugehen, wenn diese nachträglich möglich geworden ist (BGH, Urt. v. 17.10.2003 – V ZR 84/02, NJW-RR 2004,79 m.w.N.).

[20] 2.) Zutreffend hat das LG einen Anspruch der Kl. auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Bekl. aus §§ 7, 18 StVG und bzgl. der Bekl. zu 2) zusätzlich aus § 115 VVG, bejaht.

[21] Die Bekl. zu 1) hat gegen ihre Sorgfaltspflichten aus § 14 Abs. 1 StVO verstoßen. Nach dieser Vorschrift hatte sie sich beim Aussteigen aus ihrem Kraftfahrzeug so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Es handelt sich dabei um die höchste Sorgfaltsanforderung, die das Straßenverkehrsrecht kennt. Vor dem Öffnen der Fahrertür hätte die Bekl. zu 1) den rückwärtigen Verkehrsraum beobachten müssen, etwa durch Blicke in den Rück- und Außenspiegel und nach hinten über die Schulter, um festzustellen, ob sich jemand von hinten nähert. Dies hat sie unstreitig nicht getan, sondern unmittelbar vor der herannahenden Kl. die Fahrertür vollständig geöffnet, so dass die Kl. mit dem Fahrrad gegen die sich öffnende Pkw-Tür fuhr und zu Boden stürzte. Dies stellt ein grob fahrlässiges Verhalten der Bekl. zu 1) dar.

[22] 3.) Zu Unrecht hat das LG aber ein Mitverschulden der Kl. nach §§ 9 StVG, 254 Abs. 2 BGB an dem Zustandekommen des konkreten Schadens, hier der Kopfverletzung, verneint. Vielmehr liegt ein Mitverschulden der Kl. darin begründet, dass sie keinen Helm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen hat (sog. Verschulden gegen sich selbst).

[23] a) Das Nichttragen eines Schutzhelmes war kausal für das Ausmaß der Kopfverletzungen, die die Kl. durch den Unfall v. 7.4.2011 erlitten hat. So ist schon mit der herrschenden Meinung (BGH, Urt. v. 25.1.1983 – VI ZR 92/81, NJW 1983, 1380; OLG Stuttgart VRS 97, 15; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 21a StVO, Rn 22 m.w.N.) davon auszugehen, dass der Anscheinsbeweis für einen ...

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