StGB § 69 § 142; StPO § 111a

Leitsatz

1. Die gesetzliche Vermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist widerlegbar durch besondere Umstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters, die die Eignung nach der Tat günstig beeinflusst haben oder die den seiner generellen Natur nach schweren Verstoß in einem weniger gefährlichen Licht als den Regelfall erscheinen lassen.

2. Bei einem Beschuldigten, der etwa 1 ½ Stunden nach dem Unfallereignis freiwillig zur Polizei fährt und den Unfall meldet, liegen solche besonderen Umstände vor. Eine Ausnahme kommt insb. in Betracht, wenn im Hinblick auf einen – die Feststellungen nachträglich ermöglichenden – Täter die Anwendung der Vorschrift bzgl. der tätigen Reue gem. § 142 Abs. 4 StGB daran scheitert, dass der Sachschaden nicht unerheblich war.

AG Bielefeld, Beschl. v. 9.102013 – 9 Gs-402 Js 3422/13-5435/13

1 Aus den Gründen:

" … Der Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis war zurückzuweisen."

Zwar ist nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen der dringende Tatverdacht einer Unfallflucht i.S.d. § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB gegeben. Der Beschuldigte befuhr am 2.8.2013 gegen 19:24 Uhr mit seinem Pkw die A-Straße in B. Als er sein Fahrzeug zurücksetzte, stieß er dabei mit dem Heck gegen die Mauer des Eckgrundstücks L-Straße 19. An der Mauer entstand ein Sachschaden i.H.v. 1.647,60 EUR netto. Der Beschuldigte bemerkte den Zusammenstoß, stieg aus und sah sich den Schaden an der Mauer an. Anschließend setzte er seine Fahrt zunächst fort, ohne zuvor die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Etwa 1 ½ Stunden nach der Tat begab er sich jedoch zur Polizeiwache Ost in B, um den Unfall zu melden.

Der Beschuldigte ist aufgrund des dringenden Tatverdachts einer Katalogtat gem. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB damit zwar i.d.R. als ungeeignet zum Führen von Kfz anzusehen. Die gesetzliche Vermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist jedoch widerlegbar, so dass zu prüfen war, ob besondere Umstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters vorliegen, die die Eignung nach der Tat günstig beeinflusst haben oder die den seiner generellen Natur nach schweren Verstoß in einem weniger gefährlichen Licht als den Regelfall erscheinen lassen (vgl. hierzu Leipziger Kommentar/Geppert, 12. Aufl. 2008, StPO, § 69 Rn 87). Nach Auffassung des Gerichts liegen bei dem Beschuldigten, der etwa 1 ½ Stunden nach dem Unfallereignis freiwillig zur Polizei fuhr und den Unfall meldete, solche besonderen Umstände vor. Eine Ausnahme kommt insb. in Betracht, wenn im Hinblick auf einen – die Feststellungen nachträglich ermöglichenden – Täter die Anwendung der Vorschrift bzgl. der tätigen Reue gem. § 142 Abs. 4 StGB daran scheitert, dass der Sachschaden nicht unerheblich war oder es sich um einen Unfall im fließenden Verkehr gehandelt hat. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Tätige Reue scheidet aus, da bei dem vorliegenden Unfall ein über der Grenze von 1.300 EUR liegender erheblicher Sachschaden entstanden ist. Das Verhalten des Beschuldigten nach der Tat kann mithin nicht den dringenden Tatverdacht für eine vollendete Verkehrsunfallflucht entfallen lassen. Die freiwillige nachträgliche Ermöglichung von Feststellungen lässt aber aus der Sicht des Gerichts den seiner generellen Natur nach schweren Verstoß in einem weniger gefährlichen Licht erscheinen, mit der Folge, dass die gesetzliche Vermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB widerlegt ist. Im Rahmen der Gesamtwürdigung hat das Gericht auch berücksichtigt, dass von einem einmaligen Augenblicksversagen auszugehen sein dürfte, da der Bundeszentralregisterauszug des Beschuldigten v. 5.9.2013 keine Eintragungen aufweist und auch der Verkehrszentralregisterauszug keine ähnlich gelagerten Verstöße enthält. Damit ist die Regelwirkung der Katalogtat durch die besonderen Umstände widerlegt. … “

Mitgeteilt von RA Bernd Brüntrup, Minden

2 Anmerkung:

Die Entscheidung des AG Bielefeld bestätigt die bereits vorhandene Rspr., nach der ein Verhalten, das nicht unter § 142 Abs. 4 StGB zu subsumieren ist, etwa weil wie hier der Sachschaden erheblich ist, dennoch dafür sorgen kann, dass die Indizwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB widerlegt wird (LG Zweibrücken, NZV 2003, 439; LG Gera, VRS 99, 258; Freyschmidt/Krumm, Verteidigung in Straßenverkehrssachen, 10. Aufl. 2013, Rn 645; Lenhart, NJW 2004, 193). Dies wird sogar binnen längerer Zeit als der hier verstrichenen 1,5 Stunden angenommen (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 69 StGB, Rn 17: am gleichen oder folgenden Tag). Freilich dürfen im Rahmen der Gesamtabwägung sonstige Gründe nicht gegen den Täter sprechen, so etwa eine Vielzahl von Voreintragungen.

RiAG Dr. Benjamin Krenberger

zfs 5/2014, S. 293 - 294

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