" … [4] II. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung u.a. in RVGreport 2017, 54 (Hansens) = AGS 2017,68 veröffentlicht ist, meint, die Prozessbevollmächtigten der Kl. können insgesamt nur eine 1,3 Verfahrens- und nur eine 1,2 Terminsgebühr aus dem Gebührenstreitwert von 1.670.697,35 EUR verlangen. Für die Tätigkeit nach dem Einspruch erhielten sie keine zusätzliche Vergütung nach § 15 Abs. 5 S. 2 RVG. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift sei, dass der Rechtsanwalt neu beauftragt werde, nachdem der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt sei. Daran fehle es. Zwar sei es mit der Zustellung des Versäumnisurteils zu einer Erledigung des Auftrags i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 1 RVG gekommen. Den Rechtsanwälten sei aber kein neuer Auftrag erteilt worden. (…)"

[5] III. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts können die Prozessbevollmächtigten der Kl. für die Tätigkeit nach dem Einspruch der Bekl. gegen das Versäumnisurteil eine erneute 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG und zusätzlich zu der 0,5 Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV RVG die 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG verlangen. Zwar handelt es sich bei dem Verfahren vor und nach dem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil gebührenrechtlich um eine Angelegenheit (§ 15 Abs. 2 RVG). Die Vorschrift des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ist aber entsprechend anwendbar, sodass erneute Gebühren für die weitere anwaltliche Tätigkeit entstehen.

[6] 1. Rechtsfehlerfrei geht das Beschwerdegericht zunächst davon aus, dass das Verfahren über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil und das vorausgegangene Verfahren in gebührenrechtlicher Hinsicht dieselbe Angelegenheit sind (allg. Ansicht, vgl. OLG Celle RVGreport 2016, 298 [Hansens] = AGS 2016,318; OLG Koblenz AGS 2010, 464; KG RVGreport 2009, 17 [ders.] = AGS 2008, 591; OLG Köln, Beschl. v. 5.11.2008 – 17 W 227/08, juris Rn 12; Hartmann, KostG, 47. Aufl., § 15 RVG Rn 32; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 22. Aufl., § 15 Rn 85, § 17 Rn 44). Die Regelung des § 38 BRAGO, wonach das Verfahren über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil als besondere Angelegenheit galt, ist durch das RVG (…) nicht übernommen worden. Es bleibt deshalb bei der in § 16 und § 17 Nr. 1 RVG zum Ausdruck kommenden allgemeinen Regel, dass das gerichtliche Verfahren in einem Rechtszug eine Angelegenheit ist (vgl. BGH RVGreport 2016, 215 [ders.] = AGS 2016, 316; Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, 10. Aufl., RVG, § 15 Rn 10; Hartmann, a.a.O., § 15 RVG Rn 32; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 15 Rn 5 f., 14). Der zulässige Einspruch hat keinen Devolutiveffekt, sondern versetzt den Prozess, soweit der Einspruch reicht, in die Lage zurück, in der er sich vor dem Eintritt der Versäumnis befand (§ 342 ZPO). Der Rechtsanwalt kann die Gebühren für die Tätigkeit vor und nach dem Einspruch nur einmal fordern (§ 15 Abs. 2 RVG). Es entsteht eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, und die ursprünglich aufgrund des ersten Termins angefallene 0,5 Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV RVG geht in der 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG auf (vgl. KG und OLG Koblenz, a.a.O.; Herget/Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 344 Rn 2; Hünnekens Rpfleger 2004, 445, 451).

[7] 2. Anders als das Beschwerdegericht meint, können die Prozessbevollmächtigten der Kl. für ihre weitere Tätigkeit aber deshalb eine erneute Vergütung fordern, weil die Bekl. den Einspruch mehr als zwei Kalenderjahre nach Erlass des Versäumnisurteils eingelegt hat. Es kann dahinstehen, ob das unmittelbar aus § 15 Abs. 5 S. 2 RVG folgt. Die Vorschrift ist jedenfalls analog anwendbar.

[8] a) Nach § 15 Abs. 5 S. 2 RVG gilt die weitere Tätigkeit eines Rechtsanwalts als neue Angelegenheit, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist. Von einer solchen Erledigung des früheren Auftrags der Prozessbevollmächtigten der Kl. geht das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei aus.

[9] aa) Für die Erledigung des Auftrags i.S.v. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ist auf die zu § 8 Abs. 1 S. 1 RVG gefundene Definition dieses Begriffs abzustellen (BGH RVGreport 2011, 17 [Hansens] = AGS 2010, 477; vgl. auch BGH RVGreport 2006, 119 [ders.] = AGS 2006, 323 zu § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO). Danach ist ein Auftrag erledigt, wenn der Anwalt seine Verpflichtungen aus dem Anwaltsvertrag vollständig erfüllt hat. Das ist dann der Fall, wenn von ihm keine weiteren Handlungen in Erfüllung des Auftrags mehr zu erwarten sind. Die Entscheidung der Frage, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Allgemeine Regeln lassen sich dazu nicht aufstellen (vgl. BGH, Beschl. v. 13.11.2008 – IX ZR 24/06, juris Rn 2 m.w.N.). Dabei ist von Bedeutung, ob der Anwalt selbst seinen Auftrag als erfüllt ansieht oder nicht (vgl. BGH NJW 1979, 264, 265; Rinkler, in: Fischer/Vill/Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 1 Rn 69). Das Ziel braucht nicht erreicht zu sein (Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 8 Rn 10).

[10] bb) Daran gemessen war der von...

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