VVG § 28; AKB E.1.3

Leitsatz

1. Die Klausel der AKB, nach der ein VN den Unfallort nicht verlassen darf, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, verkörpert aus der Sicht eines durchschnittlichen verständigen VN keine über die strafrechtlichen Pflichten nach § 142 StGB hinausgehenden Obliegenheiten.

2. Der VR, der sich auf Leistungsfreiheit wegen unerlaubten Entfernens beruft, muss beweisen, dass der VN keine hinreichende Zeit an der Unfallstelle verblieben ist, und dass er den Geschädigten nicht rechtzeitig unterrichtet hat.

3. Irrtümer des VN über den Geschädigten können ihn entlasten.

4. Nicht jedes unerlaubte Entfernen vom Unfallort ist arglistig.

OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.2.2016 – 5 U 75/14

Sachverhalt

Der Kl. unterhielt bei der Bekl. eine Kfz-Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung, die als Obliegenheit in den AVB (AKB E.1.3) vorsah, dass er den Unfallort nicht verlassen dürfe, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Am 17.1.2014 erlitt er nachts gegen 03.00 Uhr einen Unfall auf einer BAB, bei dem er eine Leitplanke beschädigte. Sein Pkw war fahruntüchtig. Nach einer gewissen Zeit holte ihn ein Bekannter ab. Der Kl. will am nächsten Morgen bei dem Straßenbauamt einer Kreisstadt angerufen und den Schaden gemeldet haben. Über die Dauer des Wartens des Kl. am Unfallort, die tatsächliche Meldung des Schadens, die Eigenschaft der Kreisstadt als Geschädigtem und arglistiges Verhalten des Kl. streiten die Parteien.

2 Aus den Gründen:

" … Der Kl. hat gegen die Bekl. aufgrund der zwischen den Parteien abgeschlossenen Fahrzeugvollversicherung einen Anspruch auf Zahlung der – auf der Grundlage eines von der Bekl. eingeholten Gutachtens bezifferten und von dieser auch der Höhe nach nicht bestrittenen – Entschädigung …"

I. Dass der Versicherungsfall i.S.d. Buchst. A.2.3 AKB 2014 eingetreten ist, ist zwischen den Parteien nicht streitig. Die Bekl. ist nicht gem. § 28 Abs. 2 VVG, Buchst. E.7.1 AKB 2014 leistungsfrei. Sie hat nicht bewiesen, dass der Kl. durch das Verlassen des Unfallorts seine Aufklärungsobliegenheiten – vorsätzlich oder grob fahrlässig – verletzt hat. Soweit eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen im Raum steht, hat der Kl. jedenfalls den Kausalitätsgegenbeweis gem. § 28 Abs. 3 S. 1 VVG geführt.

1. Nach Buchst. E.1.3 AKB 2014 ist der VN verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann; insb. darf er den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen (vor allem zum Fahrer des Fahrzeugs, zum Unfallhergang oder zum Alkohol- oder Drogenkonsum des Fahrers) zu ermöglichen.

a) Zu den früheren Fassungen der AKB war anerkannt, dass die vertragliche Obliegenheit, “alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann’, auch die in § 142 StGB strafrechtlich sanktionierten Rechtspflichten umfasste (BGH VersR 2000, 222 … ). Die Vorschrift des § 142 StGB sanktioniert das Verhalten eines Unfallbeteiligten, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Gem. § 142 Abs. 2 StGB wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich zwar nach Ablauf einer angemessenen Wartezeit (§ 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB) oder berechtigt oder entschuldigt (§ 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB) vom Unfallort entfernt, die Feststellungen jedoch nicht unverzüglich nachträglich durch ein den Anforderungen des § 142 Abs. 3 StGB genügendes Verhalten ermöglicht hat.

Die Strafvorschrift entfaltet einen Schutzreflex für das Aufklärungsinteresse des Kraftfahrzeugversicherers, weil das Ergebnis polizeilicher Ermittlungen mittelbar auch diesem zugutekommt (BGH VersR 1987, 657). Dass mit der Verletzung der in § 142 Abs. 1 und 2 StGB geregelten Pflichten der Leistungsanspruch gegen den VR gefährdet sein kann, muss sich dem VN schon deshalb aufdrängen, weil er um dessen Interesse an der vollständigen Aufklärung des Unfallhergangs und der Unfallursachen weiß und sich bewusst ist, dass er es mit dem Verlassen des Unfallorts nachhaltig beeinträchtigt. Die Obliegenheit besteht auch bei eindeutiger Haftungslage (BGH VersR 2000, 222). Denn in der Kaskoversicherung geht es stets auch darum, zu prüfen, ob der VR (teilweise) gem. § 81 VVG leistungsfrei ist, weil eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit den Unfall verursacht hat (vgl. BGH VersR 2013, 175 … ). Unter der früheren Bedingungslage stellte das bloße Verlassen der Unfallstelle dabei allerdings nur dann eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in der Kaskoversicherung und in der Kfz-Haftpflichtversicherung dar, wenn dadurch der objektive und subjektive Tatb...

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