" … Der Kl. hat gegen die Bekl. aufgrund der zwischen den Parteien abgeschlossenen Fahrzeugvollversicherung einen Anspruch auf Zahlung der – auf der Grundlage eines von der Bekl. eingeholten Gutachtens bezifferten und von dieser auch der Höhe nach nicht bestrittenen – Entschädigung …"

I. Dass der Versicherungsfall i.S.d. Buchst. A.2.3 AKB 2014 eingetreten ist, ist zwischen den Parteien nicht streitig. Die Bekl. ist nicht gem. § 28 Abs. 2 VVG, Buchst. E.7.1 AKB 2014 leistungsfrei. Sie hat nicht bewiesen, dass der Kl. durch das Verlassen des Unfallorts seine Aufklärungsobliegenheiten – vorsätzlich oder grob fahrlässig – verletzt hat. Soweit eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen im Raum steht, hat der Kl. jedenfalls den Kausalitätsgegenbeweis gem. § 28 Abs. 3 S. 1 VVG geführt.

1. Nach Buchst. E.1.3 AKB 2014 ist der VN verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann; insb. darf er den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen (vor allem zum Fahrer des Fahrzeugs, zum Unfallhergang oder zum Alkohol- oder Drogenkonsum des Fahrers) zu ermöglichen.

a) Zu den früheren Fassungen der AKB war anerkannt, dass die vertragliche Obliegenheit, “alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann’, auch die in § 142 StGB strafrechtlich sanktionierten Rechtspflichten umfasste (BGH VersR 2000, 222 … ). Die Vorschrift des § 142 StGB sanktioniert das Verhalten eines Unfallbeteiligten, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Gem. § 142 Abs. 2 StGB wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich zwar nach Ablauf einer angemessenen Wartezeit (§ 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB) oder berechtigt oder entschuldigt (§ 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB) vom Unfallort entfernt, die Feststellungen jedoch nicht unverzüglich nachträglich durch ein den Anforderungen des § 142 Abs. 3 StGB genügendes Verhalten ermöglicht hat.

Die Strafvorschrift entfaltet einen Schutzreflex für das Aufklärungsinteresse des Kraftfahrzeugversicherers, weil das Ergebnis polizeilicher Ermittlungen mittelbar auch diesem zugutekommt (BGH VersR 1987, 657). Dass mit der Verletzung der in § 142 Abs. 1 und 2 StGB geregelten Pflichten der Leistungsanspruch gegen den VR gefährdet sein kann, muss sich dem VN schon deshalb aufdrängen, weil er um dessen Interesse an der vollständigen Aufklärung des Unfallhergangs und der Unfallursachen weiß und sich bewusst ist, dass er es mit dem Verlassen des Unfallorts nachhaltig beeinträchtigt. Die Obliegenheit besteht auch bei eindeutiger Haftungslage (BGH VersR 2000, 222). Denn in der Kaskoversicherung geht es stets auch darum, zu prüfen, ob der VR (teilweise) gem. § 81 VVG leistungsfrei ist, weil eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit den Unfall verursacht hat (vgl. BGH VersR 2013, 175 … ). Unter der früheren Bedingungslage stellte das bloße Verlassen der Unfallstelle dabei allerdings nur dann eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in der Kaskoversicherung und in der Kfz-Haftpflichtversicherung dar, wenn dadurch der objektive und subjektive Tatbestand des § 142 StGB erfüllt wurde (BGH VersR 2000, 222).

b) Dass die für den Vertrag der Parteien geltenden AKB die allgemeine, durch § 142 Abs. 1 und 2 StGB geprägte Aufklärungsobliegenheit nunmehr selbst ausdrücklich durch eine eigenständige Aufklärungsobliegenheit konkretisieren, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, rückt das – bislang nur reflexhaft über § 142 StGB geschützte – eigene Aufklärungsinteresse des VR in den Mittelpunkt und macht den früher erforderlichen Rückgriff auf das Strafgesetzbuch an sich entbehrlich (vgl. Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, E.1 AKB 2008 Rn 21). Ob und inwieweit das versicherungsvertragliche Verbot der “Unfallflucht’ mit einer Verschärfung der an das Verhalten des VN zu stellenden Anforderungen verbunden ist (so wohl OLG Stuttgart zfs 2015, 96; Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, E.1 AKB 2008 Rn 21), ist in Rspr. und Literatur umstritten. Eine generelle Erweiterung der Aufklärungsobliegenheiten kann der versicherungsvertraglichen Regelung auch im Wege der Auslegung nicht entnommen werden. Sie stünde auch mit der Rspr. des BGH nicht in Einklang.

aa) Die in den Bedingungen formulierte Obliegenheit, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen (z.B. zum Alkohol- oder Drogenkonsum des Unfallfahrers) zu ermöglichen, geht ihrem Wortlaut nach über die strafrechtlich sanktioni...

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