"Die zulässige Berufung der Bekl. hat in der Sache Erfolg."

Sie machen zu Recht geltend, dass sie wegen des Schadensereignisses … keiner begründeten Schadensersatzverpflichtung ausgesetzt sind. Ein Verschulden der Bekl. zu 1) an der Entstehung der Kollision lässt sich entgegen der Annahme des LG nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen. Hingegen ist nach Anscheinsbeweisgrundsätzen erwiesen, dass der Zeuge … im Zusammenhang mit der Türöffnung gegen seine strengen Sorgfaltspflichten aus § 14 Abs. 1 StVO verstoßen hat. … Die Betriebsgefahr, die von dem Pkw (der Bekl.) ausging, welche nicht durch ein feststellbares Aufmerksamkeits- oder Reaktionsverschulden der Bekl. zu 1) erhöht war, fällt bei Abwägung aller unfallursächlichen Umstände nicht mehr haftungsbegründend ins Gewicht. …

3) Da die schuldhafte Unfallverursachung durch den Zeugen bereits nach Anscheinsbeweisgrundsätzen feststeht, bedarf es nicht – wie seitens der Bekl. angeregt – der Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens. Im Übrigen ist aber, was die Annäherung der Bekl. zu 1) an den Unfallort anbelangt, der streitige Sachverhalt entgegen der Beweiswürdigung des LG nicht mehr aufklärbar. Es lässt sich insb. nicht mehr feststellen, ob die Bekl. zu 1) die Gefahrensituation nach einer engen Kurvenfahrt rechtzeitig hätte erkennen und durch eine Vollbremsung den Schadenseintritt noch hätte vermeiden können. Diese Unaufklärbarkeit muss sich zu Lasten der Kl. auswirken, die mit der gegen sie sprechenden Anscheinsbeweiswirkung belastet ist und die den Vollbeweis für ein irgendwie geartetes unfallursächliches Annäherungsverschulden der Bekl. zu 1) zu führen hat. Die Bekl. machen zu Recht geltend, dass die Kl. insoweit beweisfällig bleibt.

4) Der Zeuge … hat nicht nur in leicht fahrlässiger Weise gegen seine strengen Sorgfaltspflichten aus § 14 Abs. 1 StVO verstoßen, indem er sekundenlang die hintere Tür auf der Beifahrerseite des Wagens so weit hat offenstehen lassen, dass sie zu einem Frontalhindernis für die sich rückwärtig annähernde Bekl. zu 1) wurde. Dies obwohl der Zeuge bei gehöriger Aufmerksamkeit die mit der Annäherung seiner Unfallgegnerin verbunden gewesene Gefahrensituation hätte erkennen und darauf durch eine sofortige hinreichende Verkleinerung des Öffnungswinkels der Tür unfallvermeidend hätte reagieren können. Für die Annahme des LG, der Zeuge … habe bereits zu dem Zeitpunkt in der hinteren linken Fahrzeugtür des Wagens in einer für die Bekl. zu 1) erkennbaren Weise gestanden, als sie von der … -straße nach links in die … -straße eingebogen sei, gibt es keine hinreichende Tatsachengrundlage. Auf die durch das LG angesprochene Möglichkeit, dass der Zeuge seine Tochter in der für ihn unbequemeren, aber gefahrenneutralen Weise von der Beifahrerseite aus in den Fond des Fahrzeugs hätte verbringen können, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits letztlich nicht entscheidend an.

II. 1 a) Gemäß § 14 Abs. 1 StVO muss sich ein Ein- oder Aussteigender so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese strenge Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer des Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen oder örtlichen Zusammenhang damit stehen. Dabei ist der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtür, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtür und dem Verlassen der Fahrbahn beendet. Erfasst sind insb. auch Situationen, in welchen der Insasse eines Kfz sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kfz beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen oder einem Kind beim Ein- oder Aussteigen zu helfen (BGH, Urt. v. 6.10.2009, DAR 2010, 134 Rn 11 – zit. n. juris – mit zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Konkret gehört auch das in der geöffneten Fahrzeugtür vorgenommene Anschnallen eines Kindes auf der Rückbank noch zum Einsteigevorgang, innerhalb dessen der Fahrzeugführer äußerste Sorgfalt aufbringen muss (Senat, Urt. v. 16.1.2006 – I-1 U 102/05 = ADAJUR-Dok. Nr. 88761 sowie Urt. v. 26.6.2012 – I-1 U 149/11 = ADAJUR-Dok. Nr. 99798).

b) Die Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO ist nicht auf solche Vorgänge beschränkt, bei welchen sich durch das unvorsichtige Öffnen einer Fahrzeugtür ein Überraschungsmoment für andere Verkehrsteilnehmer ergibt. Das Gesetz stellt nicht auf das überraschende Öffnen einer Fahrzeugtür ab, sondern auf das Aus- und Einsteigen als solches, da ein solcher Vorgang aus unterschiedlichen Gründen mit erheblichen Gefahren für den fließenden Verkehr verbunden sein kann (BGH a.a.O.). Wer aussteigen will, muss deshalb den Verkehr genau beobachten und darf die Wagentür nur öffnen, wenn er sicher sein kann, dass er keinen von rückwärts oder von vorn Kommenden gefährdet (Senat, Urt. v. 28.5.2013 – I-1 U 170/12 mit Hinweis auf BGH DAR 2007, 309; BGH VRS 40, 463; KG DAR 1986, 88). Herrscht Fahrzeugverkehr auf der Fahrbah...

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