A. Einleitung

Mit Urteil vom 22.11.2016 (VI ZR 533/15) hat der BGH seine ständige Rechtsprechung zum "berührungslosen Unfall" bestätigt. Der "berührungslose Unfall", also ein Schadensereignis im Straßenverkehr, bei dem ein Kraftfahrzeug beteiligt ist, ohne dass es zu einer Kollision als Schadensereignis kommt, stellt einen Fall der psychisch vermittelten Kausalität dar, bei dem der Geschädigte durch seine Reaktion selbst zu Schaden kommt. Damit trotz der Weite der Gefährdungshaftung, der der Betrieb eines Kfz unterliegt, die Schadensersatzpflicht des Halters nicht ins Unendliche geht, hat der BGH eine Eingrenzung dadurch vorgenommen, dass es für die Haftung nicht ausreichend ist, dass sich ein Kfz bloß am Unfallort befand, sondern dass es das Verhalten des Geschädigten in irgendeiner Form beeinflusst hat.

B. Grundsätze der Gefährdungshaftung nach § 7 StVG

Eine Haftung für einen eingetretenen Schaden besteht nur dann, wenn zwischen einer Handlung (Tun oder Unterlassen) und dem Schaden ein ursächlicher Zusammenhang, eine Kausalität, besteht.

Bei der deliktischen Haftung ist Grundlage für die Annahme eines Ursachenzusammenhangs der naturwissenschaftliche Kausalitätsbegriff der Äquivalenzlehre, wonach alle Bedingungen für einen Schaden ursächlich sind, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der (Schadens-)Erfolg entfiele. Die alleinige Heranziehung der Äquivalenztheorie wird jedoch allgemein als zu weitgehend angesehen. Um ein Ausufern der Haftung zu verhindern und eine Abwälzung allgemeiner Lebensrisiken zu vermeiden, wird die Zurechen barkeit von Handlungsfolgen durch die Kriterien der Adäquanz[1] und des Normzwecks begrenzt.[2]

Für die Haftung im Straßenverkehr sieht § 7 Abs. 1 StVG allerdings eine Gefährdungshaftung vor: Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

Jedes Kraftfahrzeug, das im öffentlichen Straßenverkehr bewegt wird, begründet eine potentielle Gefahr für andere, welche gerade Anlass für die gesetzlich geregelte Gefährdungshaftung ist.[3] Bei der Haftung aus Betriebsgefahr geht es nicht um den Schutzzweck bestimmter Verhaltensgebote, also beispielsweise nicht darum, dass die Verkehrsregeln der StVO eingehalten worden sind. Ist eine Schädigung auf die Teilnahme eines Kfz am Verkehr zurückzuführen, ist sie folglich schon vom Schutzzweck des § 7 StVG umfasst. Lediglich bei der Zurechnung von Haftungsfolgen, also der haftungsausfüllenden Kausalität, sowie beim Entlastungsbeweis des Halters (§ 7 Abs. 2 StVG) oder der mitwirkenden Betriebsgefahr (§ 17 Abs. 3 StVG) können weiter gehende Schutzzweckerwägungen (z.B. der Verstoß gegen Verkehrsregeln) zum Tragen kommen.[4]

Im Rahmen der reinen Gefährdungshaftung ist bei der Prüfung der sog. Adäquanz[5] für verhaltensbezogene Zurechnungsmerkmale i.d.R. kein Raum.[6] Auf die Gefährdungshaftung nach § 7 StVG finden diese weiteren Zurechnungskriterien deshalb nicht ohne weiteres Anwendung. Die Rechtsgutsverletzung muss bei der Gefährdungshaftung vielmehr durch ein der Gefahrenquelle eigenes typisches Risiko verursacht worden sein. Mit diesem Erfordernis wird im Rahmen der Gefährdungshaftung das Kriterium der Adäquanz durch das Kriterium der spezifischen Gefahr abgelöst.[7] Bei der Halterhaftung nach § 7 StVG ergibt sich bereits aus dem Tatbestandsmerkmal "bei dem Betrieb", dass nur die aus der spezifischen Betriebsgefahr erwachsende Schädigung dem Kfz-Halter zugerechnet wird, d.h. der Unfall, der auf der Verwendung des Kfz als Verkehrsmittel beruht.[8] Die Präposition "bei" bringt damit das Erfordernis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Betrieb und Unfall zum Ausdruck.[9] Die Begrenzung einer ansonsten uferlosen Haftung erfolgt, indem geprüft wird, ob eine Schadensersatzpflicht noch vom Schutzbereich der Haftungsnorm erfasst wird.[10]

Während im Bereich der unerlaubten Handlung, also beim zivilrechtlichen Schadensersatz, (also) vom naturwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff auszugehen ist, kommt es bei der Betriebsgefahr konkret auf das Merkmal des Betriebs an. Dieses ist aber nicht allein naturwissenschaftlich definiert, sondern unterliegt einer Bewertung.[11]

§ 7 StVG greift ein, wenn ein Rechtsgut bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs verletzt worden ist. Dieses Haftungsmerkmal ist nach der Rechtsprechung des BGH entsprechend dem weiten Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Ab. 1 StVG ist sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen.[12] Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insowe...

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