ZPO § 293 S. 2 § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1

Leitsatz

1. Soweit ein Gericht für einen Rechtsstreit ausländisches Sachrecht zugrunde zu legen hat, genügt es dem ihm durch § 293 S. 2 ZPO zugewiesenen pflichtgemäßen Ermessen nur dann, wenn es hierfür geeignete und zielführende Maßnahmen trifft.

2. Eine Internet-Recherche zu Reisehinweisen und zu Verkehrsregeln des ausländischen Staates stellt keine geeignete Maßnahme zur Ermittlung der Rechtsregeln des ausländischen Staates dar. Geeignete Maßnahmen zum Inhalt des maßgeblichen ausländischen Rechts sind Gutachten des Instituts für Rechtsvergleichung, über das Auswärtige Amt durch Auskünfte der portugiesischen Botschaft weitergeleitete Ermittlungen, Auskünfte eines ausländischen Gerichts oder Gutachten eines ausländischen Professors für Zivil- und Zivilprozessrecht. Darüber hinaus können Auskünfte über den Regelungsgehalt ausländischen Rechts nach dem Europäischen Übereinkommen vom 7.9.1968 (Londoner Übereinkommen) durch Auskunftsanfrage an das auswärtige Justizministerium gerichtet werden.

3. Eine mangelhafte Beweiserhebung und fehlerhafte Verfahrensführung stellen wie eine nicht sachgerechte Beweiswürdigung einen Zurückverweisungsgrund dar.

(Leitsätze der Schriftleitung)

OLG München, Urt. v. 21.10.2016 – 10 U 2372/16

Sachverhalt

Dar Kl. macht gegen die beklagte portugiesische Aktiengesellschaft Schadensersatz wegen eines Straßenverkehrsunfalls in Portugal geltend. Der Kl. war mit seinem Kfz beim Anfahren vom linken Fahrbahnrand mit dem Fahrzeug der Bekl. kollidiert. Das LG stützte sich bei der Ermittlung des für die Beurteilung des Verkehrsunfalls maßgeblichen materiellen Rechts auf eine Internet-Recherche zu Reisehinweisen und zu Verkehrsregeln in Portugal, nachdem das zunächst beauftragte Institut für Rechtsvergleichung eine Erstattung des Gutachtens abgelehnt hatte.

Das LG wies die Klage mit der Begründung ab, der Kl. habe das nach portugiesischem Recht für die Haftung der Bekl. erforderliche Verschulden nicht nachgewiesen.

Die Berufung des Kl. führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das LG. Das BG ging davon aus, dass die Ergebnisse der landgerichtlichen Entscheidung auf unvollständigen Feststellungen beruhten und die fehlerhafte Beweiswürdigung keine überzeugenden Grundlagen bietet.

2 Aus den Gründen:

[18] "… c) Weiterhin hat das LG zwingende Grundsätze der Beweiserhebung vernachlässigt (BGH NJW 1993, 2312; NJW 2002, 3335), weil das – wenigstens für einzelne am Unfallort geltende verkehrsrechtliche Sorgfaltspflichten für erforderlich gehaltene – Gutachten nicht eingeholt worden ist."

[19] Zwar ist der Tatrichter grds. nach pflichtgemäßem Ermessen frei (§ 293 S. 1, 2 ZPO), wie er sich fehlende Kenntnisse ausländischen Rechts verschafft (BGH NJW-RR 1997, 1154; NJOZ 2001, 1), die entsprechenden Maßnahmen müssen jedoch geeignet und zielführend sein.

[20] Eine Internet-Recherche zu Reisehinweisen für und zu Verkehrsregeln in Portugal ist jedoch mangels Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit nicht ausreichend, wobei besonders zwei Gesichtspunkte ins Gewicht fallen: Zum ersten hat das LG bereits die Fragestellung – unzulässig – eingeengt, indem lediglich in einer einzigen Frage eine Abweichung von dem für üblich Gehaltenen für wichtig gehalten wurde. Zum zweiten hat das LG die europaweit oder gerichtsbekannt übliche Regelung weder genau beschrieben, noch belegt.

[21] Das Erstgericht erkennt angesichts der Textfassung der Entscheidungsgründe selbst, dass diese Forschungsergebnisse unzureichend sind: Dass das Gericht eine abweichende Regelung nicht gefunden hat, bedeutet nicht, dass eine solche nicht bestehen kann, wenn die anzuwendende Regelung nicht ermittelt wird. Ebenso wenig kann die Erwartung, eine Regelung wäre erwähnt worden, keine Sicherheit begründen und nicht als Beweis dafür dienen, dass diese Regelung atypisch wäre.

[22] Die Auffassung des LG, diese Rechtsfragen könnten nicht geklärt werden, ist nicht vertretbar, denn das verweigerte Universitätsgutachten des Instituts für Rechtsvergleichung hätte durch andere Beweismittel ersetzt werden können. Etwa beschafft und erteilt das Auswärtige Amt über die portugiesische Botschaft nähere Auskünfte und vermittelt sachkundige Einrichtungen (was der Senat im Streitfall durch einen eigenen Versuch bestätigt gefunden hat), zudem könnte eine Auskunft eines portugiesischen Gerichts oder ein Gutachten eines portugiesischen Professors für Zivil- und Zivilprozessrecht eingeholt werden (BGH NJOZ 2001, 1). Weiterhin kann nach dem Europäischen Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht v. 7.9.1968 (Londoner Übereinkommen) eine Auskunftsanfrage an das portugiesische Justizministerium gerichtet werden (BGH NJW 1988, 647).

[23] Bei dieser Sachlage ist unter Würdigung aller Gesamtumstände die vollständig unterlassene Beweiserhebung durch ein Sachverständigengutachten zum ausländischen Recht verfahrensfehlerhaft, und schließt aus, dass die Beweiserhebung des Erstgerichts auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht (OLG München, Urt. v...

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