[18] "… c) Weiterhin hat das LG zwingende Grundsätze der Beweiserhebung vernachlässigt (BGH NJW 1993, 2312; NJW 2002, 3335), weil das – wenigstens für einzelne am Unfallort geltende verkehrsrechtliche Sorgfaltspflichten für erforderlich gehaltene – Gutachten nicht eingeholt worden ist."

[19] Zwar ist der Tatrichter grds. nach pflichtgemäßem Ermessen frei (§ 293 S. 1, 2 ZPO), wie er sich fehlende Kenntnisse ausländischen Rechts verschafft (BGH NJW-RR 1997, 1154; NJOZ 2001, 1), die entsprechenden Maßnahmen müssen jedoch geeignet und zielführend sein.

[20] Eine Internet-Recherche zu Reisehinweisen für und zu Verkehrsregeln in Portugal ist jedoch mangels Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit nicht ausreichend, wobei besonders zwei Gesichtspunkte ins Gewicht fallen: Zum ersten hat das LG bereits die Fragestellung – unzulässig – eingeengt, indem lediglich in einer einzigen Frage eine Abweichung von dem für üblich Gehaltenen für wichtig gehalten wurde. Zum zweiten hat das LG die europaweit oder gerichtsbekannt übliche Regelung weder genau beschrieben, noch belegt.

[21] Das Erstgericht erkennt angesichts der Textfassung der Entscheidungsgründe selbst, dass diese Forschungsergebnisse unzureichend sind: Dass das Gericht eine abweichende Regelung nicht gefunden hat, bedeutet nicht, dass eine solche nicht bestehen kann, wenn die anzuwendende Regelung nicht ermittelt wird. Ebenso wenig kann die Erwartung, eine Regelung wäre erwähnt worden, keine Sicherheit begründen und nicht als Beweis dafür dienen, dass diese Regelung atypisch wäre.

[22] Die Auffassung des LG, diese Rechtsfragen könnten nicht geklärt werden, ist nicht vertretbar, denn das verweigerte Universitätsgutachten des Instituts für Rechtsvergleichung hätte durch andere Beweismittel ersetzt werden können. Etwa beschafft und erteilt das Auswärtige Amt über die portugiesische Botschaft nähere Auskünfte und vermittelt sachkundige Einrichtungen (was der Senat im Streitfall durch einen eigenen Versuch bestätigt gefunden hat), zudem könnte eine Auskunft eines portugiesischen Gerichts oder ein Gutachten eines portugiesischen Professors für Zivil- und Zivilprozessrecht eingeholt werden (BGH NJOZ 2001, 1). Weiterhin kann nach dem Europäischen Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht v. 7.9.1968 (Londoner Übereinkommen) eine Auskunftsanfrage an das portugiesische Justizministerium gerichtet werden (BGH NJW 1988, 647).

[23] Bei dieser Sachlage ist unter Würdigung aller Gesamtumstände die vollständig unterlassene Beweiserhebung durch ein Sachverständigengutachten zum ausländischen Recht verfahrensfehlerhaft, und schließt aus, dass die Beweiserhebung des Erstgerichts auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht (OLG München, Urt. v. 21.2.2014 – 25 U 2798/13 [juris]). Dies gilt verstärkt, als noch nicht einmal ein Versuch unternommen wird, eigene Sachkunde darzulegen (vgl. BGH VersR 2011, 1432; OLG München, Urt. v. 5.2.2014 – 3 U 4256/13 [juris, Rn 26–28, 33]). …

[37] II. Der Senat hat eine eigene Sachentscheidung nach § 538 Abs. 1 ZPO erwogen, sich aber aus folgenden Gründen dagegen entschieden:

[38] 1. Eine mangelhafte Beweiserhebung und fehlerhafte Verfahrensführung stellen ebenso wie eine darauf beruhende und im Übrigen nicht sachgerechte Beweiswürdigung einen Zurückverweisungsgrund nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO dar (Senat, Urt. v. 31.7.2015 – 10 U 4733/14 [juris, dort Rn 57, m.w.N.]). Als schwerwiegender Verfahrensfehler erweist sich einerseits, dass das anzuwendende ausländische Sachrecht nicht ordnungsgemäß ermittelt und festgestellt (§ 293 ZPO; BGH NZI 2013, 763; NJW 2002, 3334; NJOZ 2001, 1; NJW 1993, 2312; NJW 1988, 647; NJW 1961, 410) wurde. Andererseits wurde grundlos eine umfassende und sachgerechte Aufklärung des Unfallgeschehens (s. Senat, Urt. v. 11.3.2016 – 10 U 4087/15 [juris]; v. 26.2.2015 – 10 U 153/15 [juris]; v. 31.7.2015 – 10 U 4733/14 [juris, Rn 18, m.w.N.]) für entbehrlich gehalten und unterlassen.

[39] 2. Die erforderliche Beweisaufnahme wäre umfangreich und aufwändig (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2. Satzhälfte ZPO), weil der Senat sich nicht darauf beschränken dürfte, ergänzend einzelne Beweiserhebungen durchzuführen (Senat, a.a.O.). Vielmehr müsste zunächst ein Sachverständigengutachten über das portugiesische Straßenverkehrs-, Delikts- und Schadensersatzrecht eingeholt werden. Anschließend wäre die gesamte Beweisaufnahme im Lichte portugiesischer Rechtsgrundlagen zu wiederholen, wobei weder die erstinstanzliche Anhörung des Kl., noch die Zeugeneinvernahme dessen Ehefrau, noch das unfallanalytische Gutachten verwertet werden könnten: diese gehen sämtlich von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen aus. Zudem wäre – schon unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit – die Fahrzeugführerin des Beklagtenfahrzeugs anzuhören oder zu vernehmen, was eine Terminsladung im Ausland oder eine Rechtshilfevernehmung zur Folge hätte. Ebenso wären die Unfallfeststellungen der portugiesischen Polizeibeamten in den Rechtsstreit einzuführen und zu übe...

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