Der Tatbestand des Unerlaubten (Sich-)Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) ist seit seiner Neufassung im Jahr 1975 – sieht man von der Einführung der tätigen Reue in Abs. 4 ab[2] – nicht geändert worden. Dennoch bereitet die Vorschrift in der Praxis immer noch beachtliche Anwendungsschwierigkeiten. Dies zeigt bereits die Statistik.

Im Jahr 2014 sind zu § 142 StGB fast 38.000 Aburteilungen nach allgemeinem Strafrecht statistisch erfasst. Bezogen auf alle in diesem Jahr abgeurteilten Verkehrsstraftaten entspricht das einem Anteil von 22 %.[3] Einen vergleichbaren Anteil hat z.B. das Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG.[4] Blickt man nun aber auf die Anzahl der Verurteilungen nach § 142 StGB, so bleibt diese mit knapp 28.500 deutlich hinter den Aburteilungen zurück. Anders ausgedrückt: Die Verurteilungsquote liegt bei der Unfallflucht nur bei 76 %. Zum Vergleich: Bei § 21 StVG liegt sie bei 92 %, bei der – was die Feststellungen betrifft – komplexeren Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) zeigt die Statistik immerhin noch eine Quote von 89 %.[5] Die deutlich geringere Verurteilungsquote bei § 142 StGB korrespondiert mit einer hohen Zahl an gerichtlichen Einstellungen. Mit 7.819 Einstellungen im Jahr 2014 sind das bezogen auf alle Aburteilungen wegen Unfallflucht 20,6 %. Zum Vergleich: Bei § 315c StGB beträgt der Anteil 8,6 %, bei § 21 StVG sind es 7,8 %.[6]

Diese hohe Einstellungsquote mag in der Praxis auch darauf zurückzuführen sein, dass sich die erforderlichen Feststellungen (etwa zu der Frage, ob der Unfallbeteiligte den Unfall überhaupt bemerkt hat) nur mit erheblichem Aufwand treffen lassen, so dass gerade bei Unfällen mit geringerem Schaden einer Einstellung zugestimmt wird. Vielfach dürfte eine Einstellung aber auch damit zusammenhängen, dass im konkreten Fall fraglich ist, ob der Fall überhaupt von § 142 StGB erfasst ist bzw. ob der Unfallbeteiligte nicht doch die erforderlichen Pflichten erfüllt hat. Aus Sicht der Verteidigung ist eine konfrontative Argumentation im Grenzbereich des § 142 StGB schwierig: Denn nicht selten schwingt in der Anklage wegen Unfallflucht unausgesprochen auch der Verdacht einer vom Mandanten zugleich verdeckten Trunkenheitsfahrt mit, die dann zu einer weiten Auslegung der Vorschrift des § 142 StGB auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden führt. Lässt die Verteidigung sich nun auf einen konfrontativen Disput über die Strafbarkeit ein oder wählt sie doch besser den Weg der Einstellung? Nachfolgend wird versucht, einige typische Grenzbereiche bei § 142 StGB zu umschreiben und Argumente aufzuzeigen, mit denen das Gericht von einer sachgerechten, strafbegrenzenden Auslegung überzeugt werden kann.

Beschränkt man sich dabei auf die praktisch bedeutsameren Fragestellungen, so lassen sich fünf Bereiche ausmachen: 1. Der Unfall im Straßenverkehr (Stichwort: Unfall mit dem Einkaufswagen); 2. Die Reichweite der Unfallbeteiligung; 3. Der Umfang der am Unfallort zu erfüllenden Pflichten (Wann ist die Alkoholisierung des Unfallbeteiligten feststellungsrelevant? Welche Wartezeit ist angemessen?); 4. Die Strafzumessung (Ist das hilflose Zurücklassen des Unfallopfers strafschärfend zu berücksichtigen?); 5. Der Fahrerlaubnisentzug (Welche Aspekte widerlegen die Indizwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB?).

[2] Diese hat in der Praxis aufgrund der sehr restriktiven Auslegung keine Bedeutung, vgl. bei Henseler, § 142 IV StGB – Ist eine tätige Reue des Gesetzgebers erforderlich?, 2011, S. 4-85; MüKo-StGB/Zopfs, 3. Aufl. 2017, § 142 Rn 130 ff.
[3] Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 3, Rechtspflege, Strafverfolgung, 2014: Tabelle 2.2.: 37.711 Abgeurteilte (§ 142 StGB); 169.539 Abgeurteilte (Straftaten im Straßenverkehr); jew. bezogen auf Aburteilungen nach allg. Strafrecht.
[4] Stat. BA (Fn 2): Ausgewiesen werden für § 21 StVG insgesamt 43.200 Aburteilungen nach allg. Strafrecht, wobei jedoch auch das Führenlassen (durch den Halter) erfasst wird.
[5] Stat. BA (Fn 2): 39.569 Verurteilungen nach § 21 StVG, 11.694 Verurteilungen nach § 315c StGB (bei 13.093 Aburteilungen); jew. bezogen auf das allg. Strafrecht.
[6] Stat. BA (Fn 2): 1.125 Einstellungen (§ 315c StGB) bzw. 3.386 (§ 21 StVG). Beim Freispruch zeigt sich ein ähnliches Bild: 1.298 Fälle bei § 142 StGB (3,4 %), 248 bei § 315c StGB (1,9 %) und 798 bei § 21 StVG (1,8 %).

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