VVG § 172 § 174; BB-BUZ § 2 § 6

Leitsatz

1. Für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit bleibt auch dann die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit maßgebend, wenn der Versicherte nach dem erstmaligen Eintritt des Versicherungsfalls zunächst einer leidensbedingt eingeschränkten Tätigkeit nachging.

2. Bei Vereinbarung einer konkreten Verweisungsmöglichkeit begründet die Beendigung der Vergleichstätigkeit erneut eine Leistungspflicht des VR, wenn der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen unverändert außerstande ist, der in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit nachzugehen.

BGH, Urt. v. 14.12.2016 – IV ZR 527/15

Sachverhalt

Der Kl. unterhält bei der Bekl. eine Rentenversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.

Dem Versicherungsvertrag liegen BB-BUZ zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

"§ 2 Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?"

(1) Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens drei Jahre außerstande sein wird, seinen Beruf auszuüben und er auch keine andere Tätigkeit ausübt, die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.

§ 6 Was gilt für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit?

(1) Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wir berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad nachzuprüfen; … Dabei können wir erneut prüfen, ob der Versicherte eine andere Tätigkeit i.S.v. § 2 ausübt, wobei auch Tätigkeiten zu berücksichtigen sind, die der Versicherte aufgrund neu erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten ausübt.

(4) Ist die Berufsunfähigkeit weggefallen oder hat sich ihr Grad auf weniger als 50 % vermindert, können wir unsere Leistungen einstellen. … “

Der Kl. ist HNO-Arzt und war seit Januar 2000, zunächst in einer Gemeinschaftspraxis und ab Dezember 2002 in einer Einzelpraxis, selbstständig tätig. Ab dem Jahr 2000 kam es bei ihm zu einer kompletten Arthrose des rechten Schultergelenks und dadurch bedingt zu Einschränkungen seiner beruflichen Tätigkeit. Seit 2005 führte der Kl. bei seinen Patienten keine ambulanten chirurgischen Eingriffe in seiner Praxis und Operationen in einem Belegkrankenhaus mehr durch. Er stellte im Februar 2006 eine Assistenzärztin ein, die kleinere ambulante Eingriffe vornahm und weitere ärztliche Tätigkeiten ausübte, zu denen er selbst aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage war. Nachdem der Kl. im Jahre 2006 Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung beantragt hatte, erkannte die Bekl. ihre Leistungspflicht ab April 2006 an und erbrachte ab Mai 2006 die vertraglich vereinbarten Leistungen.

Mit Schreiben vom 15.8.2010 teilte der Kl. der Bekl. mit, dass seine Praxis in ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) übergegangen und er seitdem bei dessen Trägerunternehmen angestellt sei. Außerdem war er zum ärztlichen Leiter des MVZ bestellt worden. Die Bekl. kündigte mit Schreiben vom 15.4.2011 an, ihre Leistungen im Nachprüfungsverfahren zum 31.5.2011 einzustellen; bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liege nicht mehr vor, weil die vom Kl. seit August 2010 ausgeübte Tätigkeit seine bisherige Lebensstellung wahre.

Seine Klage auf Versicherungsleistungen hat der Kl. für den Zeitraum ab April 2013 zusätzlich darauf gestützt, dass seine Tätigkeit im MVZ unstreitig aufgrund einer Aufhebungsvereinbarung zum 31.3.2013 geendet hat. Seit Mai 2013 ist der Kl. gegen ein monatliches Honorar als Praxisvertreter in einer Gemeinschaftspraxis in H tätig.

2 Aus den Gründen:

[8] "… I. Das BG hat … angenommen, die konkrete Verweisungsmöglichkeit der Bekl. sei durch die Beendigung der Tätigkeit des Kl. im MVZ entfallen und es sei nunmehr nicht erneut Voraussetzung für einen Anspruch des Kl., dass neue gesundheitliche Beeinträchtigungen eingetreten seien, die eine Berufsunfähigkeit nach § 2 Abs. 1 BB-BUZ begründeten. Denn aufgrund der Verweisung werde diese Tätigkeit nicht zu derjenigen in gesunden Tagen. Es sei vielmehr immer noch auf die Tätigkeit vor Eintreten der Beschränkungen abzustellen, die zum Anerkenntnis der Bekl. geführt hätten; an dieses Anerkenntnis sei die Bekl. weiterhin gebunden, weil das Ergebnis des Nachprüfungsverfahrens gerade keine gesundheitliche Veränderung zum Besseren gewesen sei. Allein entscheidend für die Frage der Leistungspflicht der Bekl. sei damit, ob der Kl. immer noch eine Tätigkeit ausübe, die seiner bisherigen Lebensstellung entspreche. Das sei für seine Tätigkeit als Praxisvertreter zu verneinen."

[9] Die Tatsache, dass die Bekl. nach § 6 Abs. 1 BB-BUZ berechtigt sei, die Anspruchsvoraussetzungen jederzeit zu Lasten des Versicherten zu überprüfen, führe dazu, dass nach Treu und Glauben auch der Versicherte Nachprüfung verlangen könne, ob er immer noch eine andere Tätigkeit ausübe, die seiner bisherigen Lebensstellung entspreche. Ansonsten ginge das Risiko späterer nachteiliger Arbeitsplatzveränderungen ausschließlich zu Lasten des Versicherten. Selbst wenn...

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