BGB § 474 Abs. 1 § 476; VerbrGüterKRL Art. 6 Abs. 3

Leitsatz

1. § 476 BGB ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die dort vorgesehene Beweislastumkehr zugunsten des Käufers schon dann greift, wenn diesem der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine Mangelerscheinung) gezeigt hat, der – unterstellt, er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand – dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde. Dagegen muss der Käufer weder darlegen und nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt.

2. Weiter ist § 476 BGB richtlinienkonform dahin auszulegen, dass dem Käufer die dort geregelte Vermutungswirkung auch dahin zugutekommt, dass der binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang zu Tage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat.

BGH, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15

Sachverhalt

Der Kl. erwarb aufgrund Kaufvertrags mit der Bekl. am 27.3.2010 einen Gebrauchtwagen zum Preis von 16.200 EUR. Ab Anfang August 2010 schaltete die im Fahrzeug vorhandene Automatikschaltung nach einer Laufleistung von ca. 13.000 km in der Einstellung D nicht mehr in den Leerlauf, stattdessen ging der Motor aus. Ein Anfahren oder Rückwärtsfahren war an Steigungen nicht mehr möglich. Nach erfolgloser Fristsetzung zur Mängelbeseitigung erklärte der Kl. den Rücktritt vom Kaufvertrag. Am 4.3.2011 setzte er das Fahrzeug außer Betrieb. Seitdem legt er die Strecke zwischen seinem Wohnort und der Arbeitsstelle mit einem von seinen Eltern geliehenen Fahrzeug zurück.

Mit der Klage hat der Kl. die Rückabwicklung des Kaufvertrags Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs, den Ersatz aufgewendeter Kosten für den Austausch defekter Teile, für die Fehlersuche durch eine Fachwerkstatt, die kurzzeitige Miete eines Ersatzfahrzeugs und den Ersatz des Nutzungsausfallschadens für ein Jahr sowie die Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten und die Feststellung des Annahmeverzugs der Bekl. verfolgt.

Das LG hat die Klage nach Einholung eines Gutachtens mit der Begründung abgewiesen, dass der Kl. nicht den Nachweis dafür geführt habe, dass das Fahrzeug bereits bei der Übergabe einen Sachmangel aufgewiesen habe. Die zugunsten des Kl. sprechende Beweislastumkehr des § 476 BGB greife nicht ein, da mehrere Ursachen für den Mangel in Betracht kämen, von denen nur eine den Schluss auf die vertragswidrige Beschaffenheit zuließe.

Die zugelassene Revision des Kl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung zur neuen Verhandlung und Entscheidung.

2 Aus den Gründen:

[10] "… II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom BG gegebenen Begründung kann ein Anspruch des Kl. auf Rückzahlung des Kaufpreises (§ 437 Nr. 2, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 346 Abs. 1 BGB), auf Erstattung der Kosten für den Austausch defekter Teile (§ 437 Nr. 2, § 347 Abs. 2 BGB bzw. § 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1, § 325 BGB) und für die Fehlersuche (§ 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1, § 325 BGB), auf Ersatz eines mangelbedingten Nutzungsausfallschadens (§ 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1, § 325 BGB; vgl. Senatsurt. v. 14.4.2010 – VIII ZR 145/09, NJW 2010, 2426 Rn 13) und auf Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten (§ 280 Abs. 1 BGB), jeweils nebst Zinsen, nicht verneint werden. Denn das vom BG zugrunde gelegte Verständnis der Beweislastumkehr nach § 476 BGB bedarf im Hinblick auf die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) im Urt. v. 4.6.2015 (C-497/13) in der Sache Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV (a.a.O.) zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie einer Korrektur zugunsten des Käufers. …"

[Nach der Bejahung der Zulässigkeit der Revision führte der Senat zur Begründetheit Folgendes aus:]

[14] … 2. Die Revision ist auch begründet. Die bislang vom Senat entwickelten Grundsätze zu den Voraussetzungen des Eingreifens und der Reichweite der Beweislastumkehrregelung des § 476 BGB lassen sich teilweise nicht mit der vom Gerichtshof im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vorgenommenen Beweislastverteilung zwischen Käufer und Verkäufer in Einklang bringen. Der Senat sieht sich daher unter Aufgabe seiner bisherigen Rspr. zu einer den Vorgaben des Gerichtshofs entsprechenden Auslegung der Bestimmung des § 476 BGB veranlasst. …

[Im Anschluss hieran stellte der BGH die von ihm aufgegebene Rspr. zur Reichweise des § 476 BGB dar und fuhr sodann fort:]

[31] … (b) Demgegenüber stellt der Gerichtshof deutlich geringere Anforderungen an den für das Eingreifen der Vermutung des Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie erforderlichen Nachweis einer Vertragswidrigkeit i.S.v. Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie.

[32] (aa) Zwar weist er ebenfalls dem Käufer grds. die Beweislast dafür zu, dass eine Vertragswidrigkeit vorliegt und diese bereit...

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