EMRK Art. 6; OWiG § 46; StPO § 147

Leitsatz

1. Ein Anspruch auf Überlassung einer digitalen Messdatei besteht nicht, insb. folgt dieser nicht aus dem in § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 147 Abs. 1 Alt. 1 StPO geregelten Akteneinsichtsrecht der Verteidigung, da die digitale Messdatei als solche nicht Bestandteil der dem Gericht vorliegenden Akten ist.

2. Der digitalen Messdatei kommt allenfalls die Funktion eines amtlich verwahrten Beweisstücks i.S.d. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 147 Abs. 1 Alt. 2 StPO zu. Für ein solches besteht allerdings nur ein Besichtigungsrecht am amtlichen (hier: polizeilichen) Verwahrungsort und gerade nicht auf Überlassung der ggf. kopierfähigen Messdatei und der entschlüsselten Rohmessdaten (vgl. § 147 Abs. 4 Nr. 1 StPO).

3. Aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1, 3 Buchst. b EMRK) folgt auch kein entsprechender Anspruch auf Überlassung einer digitalen Messdatei, weil die Überprüfung der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung in der Beweisaufnahme erfolgen kann (Anschluss an OLG Bamberg, Beschl. v. 4.4.2016 – 3 Ss OWi 1444/15, DAR 2016, 337).

AG Würzburg, Beschl. v. 21.7.2016 – 262 OWi 962 Js 11069/16

Sachverhalt

Das AG bestimmte Hauptverhandlungstermin auf den 8.8.2016. Die Ladung wurde am 5.7.2016 dem Verteidiger und dem Betr. zugestellt. Am 19.7.2016 teilte der Verteidiger mit, dass der Betr. ein Gutachten über die Messung in Auftrag gegeben habe. Daher beantragte der Verteidiger, den Hauptverhandlungstermin zu verlegen und ihm die TUFF-Datei, die TOKEN-Datei und das Passwort zu übersenden. Das AG hat den Antrag auf Einsichtnahme in die digitale Messdatei (TUFF-Datei) durch deren Überlassung samt TOKEN-Datei und Passwort als unbegründet abgelehnt, ebenso den Terminsverlegungsantrag.

2 Aus den Gründen:

" … II. 1. Der Antrag auf Überlassung der digitalen Messdatei ist unbegründet."

Ein Anspruch auf Überlassung der digitalen Messdatei folgt nicht aus dem in § 46 Abs.1 OWiG i.V.m. § 147 Abs. 1 Alt. 2 StPO geregelten Akteneinsichtsrecht der Verteidigung, da die digitale Messdatei als solche nicht Bestandteil der dem Gericht vorliegenden Akten ist. Damit kommt der digitalen Messdatei allenfalls die Funktion eines amtlich verwahrten Beweisstücks i.S.d. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 147 Abs. 1 Alt. 2 StPO zu. Für ein solches bestünde allerdings nur ein Besichtigungsrecht am amtlichen (hier: polizeilichen) Verwahrungsort und gerade nicht auf Überlassung der ggf. kopierfähigen Messdatei und der entschlüsselten Rohmessdaten (vgl. § 147 Abs. 4 S. 1 StPO). Auch aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1, 3 Buchst. b EMRK) folgt kein entsprechender Anspruch, weil die Überprüfung der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung in der Beweisaufnahme erfolgen kann (OLG Bamberg, Beschl. v. 4.4.2016 – 3 Ss OWi 1444/15).

2. Der Antrag auf Terminsverlegung wird nach pflichtgemäßem Ermessen als unbegründet abgelehnt. Dabei wurde namentlich der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung mit den Interessen der Beteiligten, hier dem Recht auf ein faires Verfahren abgewogen. Dabei überwiegt der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung, denn die Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung kann in der Beweisaufnahme überprüft werden. Daher wird das Recht auf ein faires Verfahren durch die Ablehnung des Terminsverlegungsantrags nicht verletzt. … “

3 Anmerkung:

Es war nur eine Frage der Zeit, bis die rigide Rechtsprechung des OLG Bamberg (zuletzt etwa OLG Bamberg, Beschl. v. 5.9.2016 – 3 Ss OWi 1050/16) auch die amtsgerichtliche Ebene erreichen würde. Es manifestieren sich hier mehrere Streitfragen:

1. Besteht ein Einsichtsrecht auf beweiserhebliches Material, das nicht formal bei den Akten ist? (Ja, natürlich: OLG Celle, Beschl. v. 16.6.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16)

2. Besteht ein Anspruch auf Übersendung der Rohdaten der Messung des Betr. zwecks vorgerichtlicher Prüfung? (Nein: OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.8.2016 – 2 Ss-OWi 562/16; ja: OLG Celle, Beschl. v. 21.3.2016 – 2 Ss (OWi) 77/16)

Folgefrage 3: Besteht ein Anspruch auf Übersendung/Einsicht der Messdaten des gesamten Messtages?

Und der geneigte Beobachter dürfte noch eine weitere Frage stellen: Braucht man überhaupt noch einen Richter, wenn de facto das "standardisierte Messverfahren" so verstanden wird (denn der dezente Hinweis in BGHSt 39, 291 auf BGHSt 28, 235 wird in der Regel unterschlagen), dass der Betroffene nahezu keine Überprüfungsrechte mehr haben soll?

Es gibt kein Hilfsmittel gegen (zu) rigide Handhabung des Rechts, nur das Zweifeln an der Richtigkeit der großen regionalen Divergenzen in der Bußgeldrechtsprechung, so dass man ernsthaft daran denken sollte, den § 121 GVG zu reformieren, um auch dem Betr. die Möglichkeit zu geben, eine Sache an den BGH zu bringen.

RiAG Dr. Benjamin Krenberger

zfs 3/2017, S. 174

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