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Über die Quote der Bußgeldvorgänge, die technisch nicht korrekt (wegen Mess- oder Auswertefehlern) bzw. in der Beweisführung mangelhaft waren, wird rege diskutiert.[1] Fakt ist, dass bei verkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeiten oftmals technisch-physikalisch gelagerte Sonderfragen ausschlaggebend sind und über die Frage von Verurteilung oder Freispruch entscheiden können. In der Praxis kann der Bußgeldrichter allein wegen der zu bewältigenden Anzahl der Fälle in seiner Abteilung nicht in jeder einzelnen Angelegenheit ein Gutachten einholen lassen. Es besteht die Tendenz, Anträgen des Betroffenen oder seines Verteidigers auf Einholung von Sachverständigengutachten nach Möglichkeit nicht nachzukommen. Der Beitrag gibt einen Überblick, wie aus der Sicht der Verteidigung mit dieser Ausgangslage umzugehen ist und welche Möglichkeiten bestehen, die Erfolgsausichten zu steigern. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf technisch-physikalische bzw. unfallanalytische Sachverständigengutachten und private (Gegen-)Gutachten gerichtet.

[1] Nach der Untersuchung der VUT (Verkehr-Unfall-Technik) Sachverständigengesellschaft mbH von März 2009 beträgt die Fehlerquote mindestens 25 %, http://www.sachverstaendigen-gutachter.eu/aktuelles.php; Kleine Anfrage der FDP-Fraktion zur VUT-Studie an den Deutschen Bundestag, BT-Drucksache 16/13521, BT-Drucksache 16/13745.

A. Exemplarische Ordnungswidrigkeitenverfahren

Kaum ein Rechtsgebiet ist derart abhängig von der technisch-physikalischen Überprüfung wie das Verkehrsbußgeldrecht.

I. Geschwindigkeitsüberschreitungen

Überschreitungen der Höchstgeschwindigkeit werden durch komplexe Messverfahren, wie Radar-, Koaxialkabel-, Lichtschrankenmessungen, Einseitensensor-, das Lasermess-, Police-Pilot-, Vidista-Verfahren, Messungen durch Vorausfahren sowie durch Auswertung von Schaublättern festgestellt. Der vernommene Messbeamte kann allenfalls bestätigen, dass er das Gerät, wie vom Gerätehersteller vorgeschrieben, aufgebaut und bedient hat und ein bestimmter Wert der Geschwindigkeitsüberschreitungen auf dem Gerät angezeigt wurde. Wie die Messung funktionierte und ob die Messwertbildung richtig war, kann allenfalls ein Sachverständigengutachter, der sich im Bereich der Messverfahren in Bußgeldsachen spezialisiert hat, beantworten.

II. Bußgeldrechtlich relevante Fahrfehler mit Verkehrsunfall

Auch wenn der Betroffene einen Fahrfehler begangen haben soll, der sich in Form eines Verkehrsunfalls ausgewirkt haben soll, werden regelmäßig Bußgeldbescheide erlassen. Bußgeldrechtlich relevante Fahrfehler befinden sich verstreut im gesamten Bußgeldkatalog.[2] Klassische Verfehlungen von Kraftfahrzeugführern sind angebliche Verstöße gegen das Rechtsfahrgebot, nicht den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Fahrweise, Überholen bei unklarer Verkehrslage, Fahrspurwechsel mit anschließender Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern, Nichteinhalten des erforderlichen Abstands und Vorfahrtspflichtverletzungen. Dass der Unfallgegner des Betroffenen, auch mit Blick auf die Gefahr, dass seine zivilrechtlichen Schäden nicht ausgeglichen werden, – oftmals zu Unrecht – eigene Fehler und damit ein (Mit-)Verschulden von sich weisen wird, ist nicht unüblich. Bestätigt aber der Unfallgegner oder weitere Zeugen im Verfahren vor der Bußgeldbehörde, dass der Verkehrsunfall ausschließlich oder im Wesentlichen vom Betroffenen herbeigeführt worden sei, so reicht dies der Bußgeldbehörde in der Regel, um einen Bußgeldbescheid gegen ihn zu erlassen. Die Einlassung des Betroffenen, sich nicht fehlerhaft verhalten zu haben, wird als untaugliche Schutzbehauptung abgetan, bei belastenden Zeugenaussagen wird der Betroffene von der Bußgeldbehörde für nicht mehr glaubhaft gehalten. Die Klärung der Schuldfrage kann jedoch regelmäßig nur durch ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten erfolgen. Neben Lichtbildern, protokollierten Angaben von Zeugen am Unfallort und Aussagen bei der Polizei können die Spuren am Unfallort und Beschädigungen an den Kraftfahrzeugen die Aufklärung des wirklichen Unfallhergangs gewährleisten.

[2] Fromm, zfs 2013, 428 ff.

III. Ladungsverstöße

Oftmals befinden sich bei Ladungssicherungskontrollen in Sachverhaltsberichten der Polizei voreilige Unterstellungen, dass die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch gefährdet gewesen sei, dass die Ladung im Fahrzeug des Betroffenen nicht ausreichend festgezurrt oder nicht so verstaut oder gesichert gewesen sei, dass sie bei einer Vollbremsung oder plötzlicher Ausweichbewegung hätte verrutschen, umfallen, hin- und herrollen oder herabfallen können. Beigefügt werden meist Fotografien der Ladung, die die nicht korrekte Verstauung der Ladung demonstrieren sollen. Die Feststellung, dass die Ladung verrutschen, umfallen, hin- und herrollen oder herabfallen könnte, erfordert jedoch komplexe physikalische Überprüfungen, bei denen die von der Ladung ausgehenden Massenkräfte bei üblichen Verkehrsbedingungen eingehend überprüft werden müssen. Dies kann nur durch ein Ladungssicherungsgutachten eines ausreichend hierfür qualifizierten Sachverständigen gewährleistet werden.

IV. Fahrzeugmängel

Bußgeldrechtlich relevant ist nach dem Bußgeldka...

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