Besteht eine Notwendigkeit zur Ergänzung des § 404a ZPO?

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Mangels Sachkenntnis kann das Gericht den Sachverhalt im Arzthaftungsprozess zunächst nicht selber beurteilen, sondern bedient sich externen Fachwissens. Entscheiden muss aber letztlich doch das Gericht. Das Votum des Mediziners stellt dabei lediglich die Grundlage dar. Um allerdings eine Abhängigkeit von ihm zu vermeiden, muss das Gutachten für den Richter und die Prozessparteien nachvollziehbar verfasst sein, damit es überprüfbar ist.

A. Kern des Arzthaftungsprozesses: ärztliche Standards

Wenn Ärzten Fehler unterlaufen, so kann das für den Patienten schlimme Folgen haben. Doch nicht immer ist eindeutig, was als Behandlungsfehler zu qualifizieren ist. Das Gesetz gibt nur mittelbar eine Legaldefinition: Gem. § 630a II BGB hat die ärztliche Behandlung nach allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen. Daraus lässt sich schließen, dass ein Behandlungsfehler immer dann vorliegt, wenn die Standards verletzt wurden. Doch wer legt fest, was Standards sind?

B. Festgelegte ärztliche Standards als DIN-Normen?

Sicherlich wäre es für die Ärzte in der Praxis im Idealfall wünschenswert, wenn Verhaltensanweisungen in allen medizinischen Fachrichtungen genau festlegen würden, was in konkreten medizinischen Gegebenheiten zu tun ist. In diesem Fall könnten das Gericht und auch die Patienten mit ihren Rechtsanwälten ohne tiefergehende medizinische Kenntnisse beurteilen, ob ein Arzt gegebenenfalls falsch gehandelt hat.

In Ansätzen sehen die wissenschaftlichen Fachgesellschaften solche Regeln zum Beispiel durch Leit- oder Richtlinien vor.[1] Die Medizin ist aber ein weites Feld. Vieles ist noch nicht erforscht. Oder wenn es Forschungen auf bestimmten Gebieten gibt, so sind die Ergebnisse durchaus widersprüchlich. Man weiß jedenfalls nicht sicher, wie viele der ärztlichen Maßnahmen tatsächlich auf die evidenzbasierte Forschung zurückgehen: nach Schätzungen zwischen 10 und 80 %, je nach Fachgebiet.[2]

Die Festlegung von ärztlichen Standards in DIN-Normen erscheint daher im Moment wenig praktikabel. Insofern ist die Bestimmung des ärztlichen Standards keine einfache Sache und muss zwangsläufig den Gutachtern im jeweiligen Einzelfall überlassen bleiben.

[1] Vgl. dazu zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften: www.awmf.de.

C. Bestimmung des ärztlichen Standards durch den Gutachter: eine Einladung zur lntransparenz

Es stellt sich die Frage, wie die Gutachter den ärztlichen Handlungsmaßstab bestimmen. Auf der einen Seite können sie dazu die evidenzbasierte Medizin verwenden. Als Richtschnur gelten in diesem Fall die medizinischen Maßnahmen, die anhand gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis einen Wirksamkeitsnachweis erbracht haben. Verwendet werden hierzu in der Regel randomisierte doppelblinde Studien.[3]

Auf der anderen Seite gibt es – wie oben unter B. dargestellt – noch genügend Bereiche in der Medizin, die wenig oder überhaupt nicht erforscht sind. Hier müssen die Gutachter entweder auf ihre eigene Erfahrung zurückgreifen oder medizinische Fachliteratur bemühen, die ihrerseits nicht immer auf ausreichender evidenzbasierter wissenschaftlicher Forschung, sondern Erfahrung oder tradiertem Wissen der Autoren beruht, wobei generell nicht sicher ist, ob die dort postulierten Maßnahmen tatsächlich wirksam im Sinne der evidenzbasierten Medizin sind.

Jedenfalls leuchtet ein, dass der Prozess der Standardfindung durch den Gutachter transparent gemacht werden muss, da der medizinische Laie den Weg und das Ergebnis der Beurteilung des Gutachters nicht ohne Weiteres nachvollziehen kann, wenn keine Studien im Sinne der evidenzbasierten Medizin existieren. Für alle nachvollziehbare "DIN-Normen" gibt es ja eben nicht.

Die Erfahrung zeigt zudem, dass die Gutachter den Weg zu ihrem Ergebnis teilweise verschleiern oder wenig konkret darstellen, wie sie dazu gelangt sind. Eine medizinische Maßnahme wird nicht etwa dadurch zum Standard, dass sie der Gutachter allein für sinnvoll erachtet. Auch reicht es nicht aus, die Autorität als gerichtlich bestellter Sachverständiger indirekt als Begründung heranzuziehen.

Schließlich gehen Gerichte zur Vermeidung längerer Prozesslaufzeiten dazu über, den Sachverständigen direkt in die mündliche Verhandlung einzubestellen, damit er dort – ohne schriftliche Ausarbeitung für die Prozessparteien! – sein Gutachten vorträgt. Auch hier dürfte auf der Hand liegen, dass es für die Prozessparteien und das Gericht schwierig ist, dem Gutachter zu folgen, selbst wenn in einer vorgelagerten mündlichen Verhandlung zunächst die Anknüpfungstatsachen festgelegt werden.

[3] Vgl. Gaßner/Strömer, Arzthaftung bei der Behandlung gesetzlich krankenversicherter Patienten, MedR 2012, 8.159 ff.; Hart, Patientensicherheit, Fehlermanagement, Arzthaftungsrecht, MedR 2012, 12; Wessel, Behandlungsfehler, Sorgfaltspflichten und ärztliche Standards, zfs 2013, 135.

D. Die Lösung: Eine Ergänzung des § 404a ZPO

Die Vorschriften hinsichtlich des gerichtlich bestellten Sachverständigen sind in der ZPO vergleichsweise umfangreich. Insbesondere der § 404a ZPO trägt dem Gericht auf, in schwierigen Fällen den Sachverständigen bei der Erstellung des Gutachtens gew...

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