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Mit der neuen Fassung der Vorschrift des § 844 Abs. 3 BGB sowie des gleichlautenden § 10 Abs. 3 StVG ist nun erstmals im deutschen Schadensersatzrecht ein "Hinterbliebenengeld" eingeführt worden, wonach der Ersatzpflichtige verpflichtet wird, dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung zu leisten. Der Gesetzgeber hat sich dabei für unbestimmte Rechtsbegriffe und gegen abschließend aufgezählte Anspruchsberechtigte entschieden, um möglichst jedem Einzelfall gerecht werden zu können. Mit diesem Beitrag werden die wichtigsten Neuerungen nebst ersten Hinweisen für die Regulierungspraxis aufgezeigt.

A. Hintergrund der neuen Vorschriften

Bisher wurde den Hinterbliebenen als sog. mittelbar Geschädigten in § 844 BGB im Fall der Tötung nur in zwei Ausnahmefällen ein materieller Ersatzanspruch mit einem Unterhaltsanspruch und dem Ersatz der Beerdigungskosten eingeräumt. Bisher gab es für Hinterbliebene einen immateriellen Anspruch nur als Schmerzensgeld im Rahmen der sog. Schockschadenrechtsprechung. Dabei handelt es sich um einen eigenen Schadensersatzanspruch wegen einer Verletzung eines eigenen Rechtsguts als Folge der Reaktion auf den Tod eines nahen Angehörigen, wobei die Verletzung Krankheitswert erreichen, d.h. pathologisch fassbar sein und über das übliche Maß einer Trauerreaktion deutlich hinausgehen muss.[1] Der nunmehr eingeräumte Anspruch eines Hinterbliebenengeldes setzt gerade nicht eine solche eigene Verletzung voraus, ist aber ansonsten wie ein immaterieller Schadensersatz für einen mittelbar Geschädigten ausgestattet.

Da es sich um den Ersatzanspruch mittelbar Geschädigter handelt, ist die Integration bei § 844 BGB folgerichtig und in der Sache dürfte es sich nunmehr um einen immateriellen Ersatzanspruch eigener Art handeln.[2]

Erfasst werden sollen nach der Gesetzesbegründung sämtliche Fälle der außervertraglichen Haftung für Schäden. Konsequent werden daher auch die Vorschriften in Gesetzen mit einer entsprechenden Gefährdungshaftung geändert, zu denen insb. § 10 Abs. 3 StVG, aber auch § 5 Abs. 3 HaftPflG, § 35 Abs. 3 LuftVG, § 7 Abs. 3 ProdHaftG und § 12 Abs. 3 UmweltHG gehören. Ausgeklammert wird grds. eine rein vertragliche Haftung, wobei aber als Ausnahme die Passagierschadenshaftung im Luftverkehrsrecht zu beachten ist.[3]

[1] BGH, Urt. v. 10.12.2015 – VI ZR 8/14 = NJW 2015, 2246; BGH, Urt. v. 20.3.2012 – VI ZR 114/11 = BGHZ 193, 34; grundlegend bereits BGH, Urt. v. 11.5.1971 – VI ZR 78/70 = BGHZ 56, 163, 168.
[2] Überzeugend Müller, VersR 2017, 321.
[3] Vgl. BT-Drucks 18 / 11397, 8.

B. Zeitlicher Anwendungsbereich

Dieses Hinterbliebenengeld gilt gem. Art. 229 § 43 EGBGB nur für Neufälle, die sich nach dem Inkrafttreten der Vorschrift am 22.7.2017 ereignet haben. Zu beachten ist dabei, dass ein Anspruch i.S.d. der Übergangsvorschriften des EGBGB bereits zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung entsteht.[4] Erforderlich ist daher, dass sowohl der Tod als auch die zu ihm führende Verletzungshandlung diesem Zeitpunkt eingetreten sind.[5]

C. Anspruchsvoraussetzungen

Ein Anspruch auf Ersatz eines Hinterbliebenengeldes nach § 844 Abs. 3 BGB bzw. den gleichlautenden Vorschriften im Gefährdungsrecht setzt erst einmal eine entsprechende Haftung nach den Vorschriften des Delikts oder Gefährdungsrechts einschließlich des dazu gehörenden Kausalzusammenhanges voraus. Diesem kommen die nachfolgenden weiteren Voraussetzungen hinzu.

I. Tod des unmittelbar Verletzten

Der Anspruch steht nach dem klaren Wortlaut nur dem Hinterbliebenen zu, der den Tod einer ihm nahestehenden Person zu beklagten hat. Dies bedeutet, dass auch eine noch so schwere Verletzung einer nahestehenden Person, die nicht zum Tode führt, gerade nicht genügt[6] und insoweit dürfte auch eine Analogie ausscheiden.[7]

[6] BT-Drucks. 18/11397, S. 9.
[7] Vgl. auch Wagner, NJW 2017, 2641, Müller VersR 2017, 321 und Steenbuck r+s 2017, 449.

II. Besonderes persönliches Näheverhältnis

Weitere Voraussetzung ist, dass der Hinterbliebene in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zur getöteten Person gestanden haben muss. Dieses Näheverhältnis besteht kraft der im Gesetz aufgestellten Vermutung zwischen dem Getöteten und folgenden vier Partnern bzw. Angehörigen:

seinem Ehegatten,
seinem Lebenspartner i.S.d. LPartG,
seinen Eltern,
seinen Kindern.

Über diese nicht abschließende Aufzählung hinaus kommt auch ein weiterer Personenkreis in Betracht, wenn ein besonders persönliches Näheverhältnis zu bejahen ist.

1. Zeitpunkt

Dieses Näheverhältnis muss zum Zeitpunkt der Verletzung bereits bestanden haben und im Zweifel gelten die gleichen Maßstäbe wie zu einem Anspruch aus § 844 Abs. 2 BGB und der bereits dazu entwickelten Rechtsprechung.[8] Entsteht das Näheverhältnis dagegen erst zu einem späteren Zeitpunkt wie beispielsweise einer intensiven Pflege nach dem letztendlich tödlichen Verkehrsunfall, bei dem die Person erst deutlich später verstirbt, genügt dies nicht.

[8] Jäger, VersR 2017, 1041.

2. Anforderungen

Ein solches Näheverhältnis wird ...

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