VVG § 78 Abs. 2 S. 1 n.F.; ZPO § 286; StPO § 244 Abs. 3 S. 2

Leitsatz

1. Die Rspr. zum Regressverzicht des Gebäude-VR gegen den Mieter des VN gilt nicht bei grob fahrlässiger Schadensherbeiführung.

2. Mit der Begründung, die unter Zeugenbeweis des Mieters gestellten Behauptungen zum Ablauf eines Schadensereignisses stünden in eklatantem Widerspruch zu den Ergebnissen eines Ermittlungsverfahrens, darf die Vernehmung des Mieters nicht abgelehnt werden.

(Leitsätze der Schriftleitung)

BGH, Beschl. v. 26.10.2016 – IV ZR 52/14

Sachverhalt

Die Kl., Gebäude-VR eines Mehrfamilienhauses in D., verlangt nach Regulierung eines Explosionsschadens unter Berufung auf eine analoge Anwendung des § 59 Abs. 2 VVG a.F. von der Bekl., dem Haftpflicht-VR eines Mieters des Hauses, im Wege des sog. Innenausgleichs eine Zahlung in Höhe der Hälfte ihrer behaupteten Regulierungsleistung von 138.272,57 EUR (mithin 69.136,29 EUR).

Am Nachmittag des 21.5.2008 kam es im Badezimmer der vom VN der Bekl. (im Folgenden: Mieter) angemieteten Wohnung zu einer Butangasexplosion, durch welche das versicherte Gebäude erheblich beschädigt wurde. Die Polizei fand bei ihren Ermittlungen im Badezimmer eine leere Butangasflasche, die keine rote Schutzkappe trug. Mehrere solcher roter Plastikkappen lagen auf dem Badezimmerboden. Zehn gefüllte und mit Schutzkappen versehene Butangasflaschen gleicher Bauart entdeckten die Polizeibeamten in einem weiteren Raum der Wohnung, in dem sich eine Cannabis-Plantage mit insgesamt 144 Pflanzen befand, für welche der Mieter spezielle Schränke mit Beleuchtungs- und Belüftungsanlagen errichtet hatte. Weitere leere Butangasflaschen entdeckten die Beamten in einem Mülleimer. Außerdem hatte der Mieter diverse Chemikalien und Lösungsmittel zur Drogengewinnung in der Wohnung gelagert. Die kriminaltechnische Untersuchung ergab, dass sich technische Defekte insb. an den Gasleitungen und am Gasherd der Wohnung ausschließen lassen.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Mieter wurde nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt, soweit es nicht Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz betraf, wobei Berücksichtigung fand, dass er selbst bei der Explosion erheblich verletzt worden war, insb. auch Verbrennungen mit bleibenden Folgeschäden im Gesicht und an beiden Händen erlitten hatte.

Die Kl. meint, der Mieter habe die Explosion durch lediglich einfache Fahrlässigkeit herbeigeführt, weshalb nach der Senatsrechtsprechung ein im Gebäudeversicherungsvertrag insoweit vereinbarter Regressverzicht zu seinen Gunsten Anwendung finde mit der Folge, dass sie unter analoger Anwendung der Vorschriften über den Innenausgleich der VR bei Doppelversicherung die Bekl. direkt auf Erstattung der Hälfte ihrer Regulierungsleistung in Anspruch nehmen könne. Das gelte im Übrigen auch für den Fall einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Schadens durch den Mieter. In einem solchen Fall habe der Gebäude-VR die Wahl, den Mieter aufgrund übergegangenen Rechts auf Schadensersatz oder dessen Haftpflicht-VR im Wege des direkten Innenausgleichs in Anspruch zu nehmen.

Die Bekl. macht geltend, der Mieter habe die Explosion grob fahrlässig herbeigeführt, im Übrigen sei ihre Eintrittspflicht nach Nr. 1.1 der in der Haftpflichtversicherung vereinbarten Besonderen Bedingungen (BBR) ausgeschlossen, weil das Schadensereignis bei einer Straftat des Mieters, nämlich dem Versuch, Cannabisöl herzustellen, eingetreten sei.

2 Aus den Gründen:

[12] "… III. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kl. führt zur Zulassung der Revision unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das BG nach § 544 Abs. 7 ZPO. Dieses hat den Anspruch der Kl. auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt, weil es deren Antrag auf Vernehmung des Mieters als Zeugen zurückgewiesen hat."

[13] 1. Zutreffend – und von der Beschwerde auch nicht mehr beanstandet – hat es allerdings angenommen, der bei Abschluss des Gebäudeversicherungsvertrags nach ergänzender Auslegung der Rspr. (vgl. dazu Senat BGHZ 145, 393 ff. unter 2 und 3) stillschweigend erklärte Regressverzicht des Gebäude-VR zugunsten der Mieter des versicherten Gebäudes sei auf Fälle der Schadensherbeiführung durch einfache Fahrlässigkeit beschränkt und eröffne dem Gebäude-VR nur in diesem Fall einen direkten Rückgriff auf den Haftpflicht-VR des Mieters analog dem Innenausgleich der VR bei einer Mehrfachversicherung (gem. § 59 Abs. 2 S. 1 VVG a.F./§ 78 Abs. 2 S. 1 VVG n.F.; vgl. dazu Senat BGHZ 169, 86 ff. unter II).

[14] Soweit Teile der Literatur die Auffassung vertreten, der Regressverzicht sei mit Blick auf das neue Versicherungsvertragsgesetz und dessen Abkehr vom “Alles-oder-Nichts-Prinzip‘, die unter anderem in § 81 Abs. 2 VVG n.F. ihren Niederschlag gefunden habe, auf Fälle der grob fahrlässigen Herbeiführung des Schadens in der Weise zu erstrecken, dass der Gebäude-VR beim Mieter nur in Höhe der ihn nach § 81 Abs. 2 VVG treffenden Kürzungsquote Regress nehmen könne (Staudinger/Kassing, VersR 2007, 10 ff., H...

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