[6] "… Die Revision des Bekl. hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache."

[7] I. Das BG, dessen Urteil in zfs 2015, 456 (m. Anm. Rixecker) veröffentlicht ist, hat ausgeführt, zwar handele es sich entgegen der Auffassung des LG nicht um eine Neubemessung, sondern um die abschließende Erstbemessung der Invalidität. Dies führe aber nicht dazu, dass hinsichtlich des Gesundheitszustands des Bekl. auf einen anderen Zeitpunkt als den durch den gerichtlichen Sachverständigen begutachteten (28.4.2010) abzustellen sei. Auch wenn für die gerichtliche Überprüfung der Erstfeststellung der Invalidität die in Ziff. 9.4 AUB 2003 hinsichtlich der Neubemessung festgelegte Dreijahresfrist für die ärztliche Bemessung der Invalidität nicht gelte, sei in einem Rechtsstreit der Ablauf dieser Dreijahresfrist der maßgebliche Zeitpunkt für die Festlegung des Ausmaßes einer etwaigen Invalidität, wenn der VR in der Dreijahresfrist wiederholt Vorschusszahlungen erbracht und sich vor Fristablauf nicht zur endgültigen Erstbemessung in der Lage gesehen habe. Die Regelung in Ziff. 9.4 AUB 2003 diene dem Interesse des VN an einem alsbaldigen Erhalt einer Invaliditätsleistung. Zugleich solle verhindert werden, dass die abschließende Bemessung der Invalidität auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben werde. Vor dem Hintergrund dieses Regelungszwecks sei es nicht sachgerecht, wenn nach Ablauf der Dreijahresfrist eintretende Änderungen für die Invaliditätsprognose Berücksichtigung finden könnten, falls überhaupt keine Erstfestsetzung innerhalb von drei Jahren erfolgt sei. Dagegen sei es nicht interessengerecht, auf den letztlich nicht vorherbestimmbaren und weit nach Ablauf der drei Jahre liegenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Gleichfalls sei nicht der Gesundheits- und Prognosezustand im Zeitpunkt des Ablaufs der Invaliditätseintrittsfrist nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 (18 Monate) maßgeblich. Der Eintritt der Invalidität nach dieser Bestimmung setze keinen bestimmten Umfang oder schon einen bestimmten Grad der Invalidität voraus. Es genüge, wenn es überhaupt zu einer Invalidität in irgendeinem Umfang gekommen sei. Den somit maßgeblichen Gesundheitszustand des Bekl. zum Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall hätten das LG und der Sachverständige zutreffend berücksichtigt. …

[9] II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

[10] 1. Nach st. Rspr. des Senats ist im Recht der Unfallversicherung zwischen der Erstbemessung der Invalidität und ihrer Neubemessung zu unterscheiden (grundlegend Senat VersR 2008, 527 Rn 10 f. … ). Der durchschnittliche VN kann den vereinbarten AUB 2003 zunächst entnehmen, dass der VR gem. Ziff. 9.1 verpflichtet ist, bei einem geltend gemachten Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten zu erklären, ob und in welchem Umfang er den Anspruch anerkennt. Die Fristen beginnen mit dem Eingang der in Ziff. 9.1 genannten Unterlagen. Aus Ziff. 9.4 wird er sodann entnehmen, dass beide Vertragsparteien berechtigt sind, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall, erneut ärztlich bemessen zu lassen. Eine derartige Neubemessung der Invalidität kommt mithin erst nach vorangegangener Erstbemessung in Betracht (Senat a.a.O.).

[11] In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise nimmt das BG auf dieser Grundlage … an, dass es sich bei dem Schreiben der Kl. vom 22.7.2010 um die abschließende Erstbemessung der Invalidität und nicht um eine Neubemessung handelt. Die vom BG vorgenommene Auslegung der Schreiben vom 14.1.2010 und 22.7.2010 unterliegt als tatrichterliche Würdigung nur einer eingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

[12] 2. Entgegen der Auffassung des BG findet indessen die für die Neubemessung der Invalidität geltende Dreijahresfrist auf deren Erstbemessung keine Anwendung (unten a). Es kommt wie das BG zutreffend sieht für die Erstbemessung auch nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung oder weitere in der Rechtsprechung und Literatur erwogene Anknüpfungspunkte an (unten b). Maßgeblich ist für die Erstbemessung vielmehr auf den Zeitpunkt des Ablaufs der vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist hier 18 Monate abzustellen (unten c).

[13] a) Zwar wird aus Ziff. 9.4 AUB 2003 ersichtlich, dass sich nach einer Erstbemessung des Invaliditätsgrades gesundheitliche Veränderungen auf die Leistungspflicht des VR nur dann auswirken sollen, wenn sie spätestens binnen drei Jahren nach dem Unfall eingetreten sind. Das gilt aber nur im Neufestsetzungsverfahren. Ist dieses – wie hier – mangels Erstfestsetzung nicht eröffnet, ist für die nur im Neufestsetzungsverfahren vorgesehene Befristung kein Raum (Senat VersR 2015, 617 Rn 27 … ). Wäre der VR bei jeder medizinischen Unwägbarkeit berechtigt, drei Jahre schon mit der Erstbemessung zuzuwarten, liefe das dem System der AUB mit der Unterscheidung zwischen Erst- und Neubemessung zuwider (so zu Recht OLG Saarbrücken VersR 2014, 124...

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