VVG § 127 § 129; BRAO § 3 Abs. 3

Leitsatz

Die durch §§ 127, 129 VVG, § 3 Abs. 3 BRAO gewährleistete freie Anwaltswahl steht finanziellen Anreizen eines VR in Bezug auf eine Anwaltsempfehlung (hier: Schadenfreiheitssystem mit variabler Selbstbeteiligung) nicht entgegen, wenn die Entscheidung über die Auswahl des Rechtsanwalts beim VN liegt und die Grenze unzulässigen psychischen Drucks nicht überschritten wird.

BGH, Urt. v. 4.12.2013 – IV ZR 215/12

Sachverhalt

Die Kl. – die Rechtsanwaltskammer für den OLG-Bezirk B – verlangt von dem beklagten Rechtsschutzversicherer, die Verwendung von Bestimmungen in seinen Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Rechtsschutzversicherung ARB 2009 zu unterlassen, die ein Schadenfreiheitssystem mit variabler Selbstbeteiligung im Zusammenhang mit einer Anwaltsempfehlung betreffen.

Die variable Selbstbeteiligung beträgt zwischen 0 und 300 EUR.

Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit der Regelung des schadenfreien und des schadenbelasteten Verlaufs i.S.d. ARB 2009. § 5a Abs. 5 ARB 2009 bestimmt dazu:

"(5) Schadenfreier oder schadenbelasteter Verlauf i.S.d. Schadenfreiheitssystems"

a) Schadenfreier Verlauf

aa) Ein schadenfreier Verlauf des Vertrags liegt vor, wenn der Versicherungsschutz von Anfang bis Ende eines Versicherungsjahrs bestanden hat und der VR in dieser Zeit für keinen Rechtsschutzfall eine Deckungszusage erteilt hat und keine Maßnahmen eingeleitet sind, die ein Kostenrisiko gem. § 5 auslösen (z.B. Beauftragung eines Rechtsanwalts, Einreichung einer Klage).

bb) Der Vertrag gilt auch als schadenfrei, wenn der Rechtsschutzfall durch eine Erstberatung abgeschlossen ist oder 5 wenn ein Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell vom VR empfohlenen Rechtsanwälte beauftragt wird.

b) Schadenbelasteter Verlauf

aa) Ein schadenbelasteter Verlauf des Vertrags liegt vor, wenn der VR während eines Versicherungsjahrs für einen Rechtsschutzfall eine Deckungszusage erteilt und Maßnahmen eingeleitet sind, die ein Kostenrisiko gem. § 5 auslösen (z.B. Beauftragung eines Rechtsanwalts, Einreichung einer Klage).

bb) Ein schadenbelasteter Verlauf des Vertrages liegt nicht vor, wenn der Rechtsschutzfall durch eine Erstberatung abgeschlossen ist oder wenn ein Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell vom VR empfohlenen Rechtsanwälte beauftragt wird.“

Deckungsanfragen beantwortet die Bekl. wie folgt:

"Es steht Ihnen frei, zur Wahrnehmung der rechtlichen Interessen in dieser Angelegenheit einen Rechtsanwalt Ihrer Wahl zu beauftragen. Wir möchten Ihnen hierfür die Kanzlei (Name der Kanzlei, Anschrift, Telefonnummer, E-Mail-Adresse) empfehlen. Folgen Sie unserer Anwaltsempfehlung und beauftragen Sie die genannte Kanzlei, entfällt die Rückstufung Ihrer Schadenfreiheitsklasse. Dadurch vermeiden Sie eine höhere Selbstbeteiligung im nächsten Rechtsschutzfall."

Die Kl. sieht in der Verknüpfung zwischen der Wahl eines vom VR vorgeschlagenen Rechtsanwalts und dem Verzicht auf eine Rückstufung eine Einschränkung des durch § 127 VVG, § 3 Abs. 3 BRAO garantierten Rechts auf freie Anwaltswahl. Die finanziellen Nachteile in einer Größenordnung von 150 EUR bis 300 EUR seien nicht unerheblich. Die Wahl des Anwalts erfolge deshalb mit Blick auf die Auswirkungen auf die Selbstbeteiligung und sei daher nicht mehr frei.

2 Aus den Gründen:

[20] "… 2. Das BG hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Kl. die von ihr geltend gemachten Ansprüche zustehen. Mangels Verletzung des Rechts auf freie Anwaltswahl kann die Kl. weder aus §§ 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG, § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, §§ 127 Abs. 1, 129 VVG (hierzu unten a) noch aus § 8 Abs. 1, 3 Nr. 2, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, §§ 127, 129 VVG und §§ 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, § 3 Abs. 3 BRAO (hierzu unten b) Unterlassung verlangen."

[21] a) Zwar ist die Kl. anspruchsberechtigte Stelle i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG (vgl. BGH GRUR 1998, 835 unter I). Ebenso folgt aus einer Abweichung von halbzwingenden Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) zum Nachteil des VN die für einen Anspruch aus § 1 UKlaG erforderliche Unwirksamkeit nach § 307 BGB (Senat BGHZ 191, 159 Rn 19). Die gem. § 129 VVG halbzwingende Norm des § 127 VVG ist aber nicht verletzt. Die angegriffenen Bestimmungen in § 5a Abs. 5 ARB 2009 verstoßen nicht gegen das Recht des VN auf freie Anwaltswahl.

[22] aa) Die zunächst vorzunehmende Auslegung der streitgegenständlichen Klauseln ergibt, dass die Bekl. entgegen der Ansicht der Kl. die Liste ihrer Partneranwälte nicht offenbaren muss und folglich dem VN hieraus auch keine Auswahl zu ermöglichen braucht.

[23] AVB sind nach gefestigter Rspr. des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. …

[24] § 5a Abs. 5 a) bb) und b) bb) ARB 2009 knüpfen die Fiktion der Schadenfreiheit und eines nicht...

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