BGB § 254 Abs. 1; StVG § 9; StVO § 25 Abs. 3; ZPO § 286

Leitsatz

1. Bei einem Unfall zwischen einem Fußgänger und einem Kfz darf bei der Abwägung der Verursachungsanteile im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB nur schuldhaftes Verhalten des Fußgängers verwertet werden, von dem feststeht, dass es zu dem Schaden oder zu dem Schadensumfang beigetragen hat.

2. Die Beweislast für den unfallursächlichen Mitverschuldensanteil des Fußgängers trägt regelmäßig der Halter des Kfz.

BGH, Urt. v. 24.9.2013 – VI ZR 255/12

Sachverhalt

Die Fußgängerin hat von ihrem Unfallgegner, der sie bei dem Unfall mit seinem bei der Bekl. zu 2) haftpflichtversicherten Pkw erfasst hatte, Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Verpflichtung der Bekl. zum Ersatz künftiger Schäden begehrt, wobei sie sich einen Mitverschuldensanteil von 75 % aufgrund ihrer bei dem Unfall bestehenden Alkoholisierung von 1,75 ‰ hingenommen hat. LG und AG haben die Klage abgewiesen, wobei das BG darauf abgestellt hat, dass die Kl. mangels konkreter Anknüpfungstatsachen ein Verschulden des beklagten Halters des unfallbeteiligten Kfz nicht nachweisen könne, das Verschulden der Kl. wegen ihrer erheblichen Alkoholisierung und ihrer versuchten Überquerung der Straße dermaßen überwiege, dass die Betriebsgefahr des Kfz zurücktrete.

Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung.

2 Aus den Gründen:

[6] "… 1. Im Ansatz geht das BG allerdings zutreffend davon aus, dass die Bekl. auch ohne den Beweis eines Verschuldens der Bekl. zu 1) grds. aufgrund der Betriebsgefahr des Fahrzeugs für den unfallbedingten Schaden gem. § 7 Abs. 1, § 11 S. 2 StVG, § 115 Abs. 1 VVG einzustehen haben, weil sie nicht den Beweis der Verursachung durch höhere Gewalt gem. § 7 Abs. 2 StVG führen können."

[7] 2. Das Berufungsurteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit es die Haftung der Bekl. wegen des überwiegenden Verschuldens der Kl. verneint. Da die Kl. weder Halterin noch Führerin eines beteiligten Fahrzeugs war, kommt eine Anspruchskürzung nach den §§ 17, 18 StVG nicht in Betracht. Die Bekl. zu 1) und 2) haften der Kl. grds. als Gesamtschuldner in vollem Umfang. Die Gefährdungshaftung kann allerdings im Rahmen der Abwägung nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB entfallen, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten darstellt (st. Rspr., vgl. Senatsurt. v. 21.12.1955 – VI ZR 63/55, VersR 1956, 238 f.; v. 12.10.1965 – VI ZR 81/64, VersR 1966, 39 f.; v. 18.3.1969 – VI ZR 242/67, VersR 1969, 571, 572 und v. 13.2.1990 – VI ZR 128/89, VersR 1990, 535, 536). Die Abwägung nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB setzt jedoch stets die Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestandes auf der Seite des Geschädigten voraus. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein (vgl. Senatsurt. v. 15.11.1960 – VI ZR 30/60, VersR 1961, 249, 250; v. 8.1.1963 – VI ZR 35/62, VersR 1963, 285, 286; vom 29.11.1977 – VI ZR 51/76, VersR 1978, 183, 185; v. 10.1.1995 – VI ZR 247/94, VersR 1995, 357, 358 und v. 21.11.2006 – VI ZR 115/05, VersR 2007, 263 Rn 15 ff.; BGH, Urt. v. 20.2.2013 – VIII ZR 339/11, NJW 2013, 2018 Rn 34). Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben (vgl. Senatsurt. v. 20.3.2012 – VI ZR 3/11, VersR 2012, 865 Rn 12). Für die Abwägung der Verursachungsanteile im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB ist mithin nur das Verhalten der Kl. maßgebend, das sich erwiesenermaßen als Gefahrenmoment in dem Unfall ursächlich niedergeschlagen hat (vgl. Senatsurt. v. 10.1.1995 – VI ZR 247/94 a.a.O.).

[8] Nach diesen Grundsätzen durfte das BG auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht annehmen, das Verschulden der Kl. überwiege gegenüber der nicht ausgeräumten Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Bekl. dermaßen, dass die Betriebsgefahr hinter dem Verschulden der Kl. zurücktrete. Mangels ausreichender Feststellungen zum Unfallhergang ergibt sich ein derart überwiegendes Mitverschulden der Kl. am Zustandekommen des Unfalls nicht bereits daraus, dass diese in erheblich alkoholisiertem Zustand unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO die Straße überquerte, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Insoweit erweist sich das Berufungsurteil als widersprüchlich zu der Begründung, mit der das BG die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens abgelehnt hat. Dazu heißt es in dem angefochtenen Urt., dass sich weder aus der Ermittlungsakte noch aus der Aussage des Zeugen M oder der Anhörung der Parteien konkrete Anknüpfungstatsachen, insb. Entfernungen, Abstände, Endlagen und Geschwindigkeiten entnehmen ließen, die ausreichten, um einen Sachverständigen mit der Erstellung eines unfallanalytischen Gutachtens über den Hergang des Unfalls zu beauftragen. Mithin stand für das BG weder fest, welche Wegstrecke die Kl. auf der Fahrbahn bis zum Erreic...

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