1) Die vielfach ohne Begründung in Diesel-Abgasfällen angenommene Erfüllung des Schutzgesetzes des § 263 StGB wird vom BGH richtig gestellt, wobei er die fehlende Bereicherungsabsicht der für den Hersteller Handelnden und die nicht vorliegende Stoffgleichheit zwischen erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteil und etwaigem Vermögensschaden hervorhebt (Rn 17). Diese zu fehlender Erfüllung des § 263 StGB führenden Bedenken sind auf die Struktur des Gebrauchtwagenkaufs zurückzuführen. Der Zweitkäufer des Gebrauchtwagens ist lediglich mittelbarer Geschädigter, wenn auch in den Schutzbereich des § 826 BGB einbezogen (vgl. BGH zfs 2020, 434 Rn 16 ff.; OLG Hamm Urt. v. 14.8.2020 – 45 U 22/19 Rn 57 m.w.N.). Eine Absicht des für den Hersteller zurechenbar Handelnden aus dem Absatzgeschäft bezüglich des Gebrauchtwagens einen – weiteren – Vorteil zu erzielen kann wegen fehlender Beteiligung des Herstellers an diesem Geschäft nicht begründet werden (Rn 24 ff). Das Erfordernis der Stoffgleichheit erfasst nur die Vermögensverschiebungen, bei denen durch die Verfügung unmittelbar ein Vermögenstransfer zum Bereicherten stattfindet, damit nur zum Erstkäufer.

2) Von größerer Bedeutung als die Ablehnung des § 263 StGB als Schutzgesetz sind die Ausführungen des BGH zur Verneinung der Erfüllung des § 826 BGB trotz der auch vom BGH beibehaltenen Qualifizierung der Täuschungshandlung des Herstellers im Prüfungsverfahren zur Erlangung der Typengenehmigung (Rn 27 ff.). Die Verneinung des Schadensersatzanspruchs gem. § 826 BGB beruht darauf, dass für den maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung des Tatbestandes im Zeitpunkt des Zweitkaufs – an dem der Hersteller nicht beteiligt war – in der Person des Herstellers die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit nicht mehr vorgelegen haben sollen. Im Jahre 2016 habe sich der Hersteller nicht mehr sittenwidrig verhalten.

Die potentiell schadensursächliche Herstellung des Kfz, der Erschleichung der Typengenehmigung und das Inverkehrbringen des kontaminierten Kfz und der Vertragsschluss mit dem geschädigten Kl. – an dem der Hersteller unbeteiligt war – fielen zeitlich auseinander. Das habe zur Folge, dass der Schaden des Zweitkäufers erst im Zeitpunkt seines Kaufs gem. § 826 BGB entstanden sei. Dieses Ergebnis gewinnt der BGH aufgrund seiner Festlegung, dass für die Annahme der Sittenwidrigkeit der Zeitpunkt des nachteiligen ungewollten Vertragsschlusses maßgeblich ist (Rn 31). Das hat die weitere Konsequenz, dass bei einem Fortfall des sittenwidrigen Verhaltens des Herstellers vor Abschluss des Zweitkaufs diese Voraussetzung des Anspruchs aus § 826 BGB entfallen kann (vgl. Rn 31).

3) Grundsätze für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines verursachten nachteiligen Vertragsschlusses durch einen Zweitkäufer für einen Erwerb im Jahre 2014 hatte der BGH in der Entscheidung v. 25.5.2020 entwickelt und war zur Bejahung sittenwidrigen Verhaltens und einem Anspruch aus § 826 BGB gelangt (Rn 16 ff. ebd.). In der vorliegenden Entscheidung bildet der BGH eine Zäsur, bis zu welchem Zeitpunkt vom Fortbestehen der Sittenwidrigkeit und der Möglichkeit einer Begründung eines Anspruchs aus § 826 BGB auszugehen ist. Aus den turbulenten Ereignissen ab September 2015 nach einer Adhoc- Mitteilung der Herstellerfirma, Pressemitteilungen, Schaltung von Website, Pressemitteilungen, Rundfunk und Fernsehen leitet der BGH die zur Beseitigung der Sittenwidrigkeit geeignete dokumentierte Verhaltensänderung des Herstellers ab. Soweit die Dokumente gerichts- oder allgemeinkundig sind, bedurfte es zu deren Einführung in den Rechtsstreit keines umfangreichen Vortrags. Ein imponierendes Beispiel für den Umfang weiterer Nachweise bietet die in diesem Heft abgedruckte Entscheidung des LG Saarbrücken v. 4.9.2020 – 12 O 496/19.

Frühestens ab dem 22.9.2015, jedenfalls aber bis zum Ende des Jahres 2015 war nach Auffassung des BGH zum einen bei einem Vertragsschluss über abgasmanipulierte Fahrzeuge wegen Fehlens eines sittenwidrigen Verhaltens des Herstellers ein Anspruch aus § 826 BGB nicht mehr begründet. In der heftigen Auseinandersetzung über die Berechtigung dieses Zäsurzeitpunktes (Nachweise in Rn 38) hat sich der BGH der überwiegenden Meinung angeschlossen. Weitere Folge dieser Zäsurbildung ist die Feststellung, dass mit Ablauf des Jahres 2018 die am 1.1.2016 beginnende dreijährige Verjährungsfrist abgelaufen ist (§§ 195, 199 BGB). Voraussehbar ist, dass Geschädigte bei unterbliebener verjährungshemmender oder -unterbrechender Geltendmachung der Schadensersatzforderung sich mit dem Einwand auseinandersetzen müssen, dass die etwaige Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht (vgl. LG Saarbrücken a.a.O).

Der naheliegende Einwand gegen die Annahme des Entfallens einer sittenwidrigen Handlung des Herstellers, bereits spätestens ab dem 1.1.2016 sei wegen des Bestreitens des Herstellers, er sei für die Abgasmanipulation nicht verantwortlich und hafte hierfür nicht, ist nicht geeignet, von einer noch im Jahre 2016 fortbestehenden Sittenwi...

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