Das LG München[44] hatte zwischenzeitlich über einen Vertrag zu entscheiden, der erst während der beginnenden "Corona-Phase" abgeschlossen wurde und – zumindest aus Sicht der Kammer – keine abschließende Auflistung enthalten hat. Unter diesen Voraussetzungen durfte der VN nach Ansicht der LG München davon ausgehen, dass der Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend sei und sich mit dem IfSG decken würde. Er durfte bei dem verwendeten Bedingungswerk insbesondere annehmen, dass in § 1 Ziffer 2 AVB eine bloße Wiedergabe der gesetzlich erfassten Krankheiten und Krankheitserreger erfolgen würde, während nur in § 3 AVB Einschränkungen enthalten seien. Die Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger in den o.g. Klauseln wären jedoch im Vergleich zum IfSG unvollständig. Dabei könne von dem VN nicht erwartet werden, die Auflistung in § 1 Ziffer 2 AVB Wort für Wort mit der aktuellen geltenden Fassung des IfSG zu vergleichen, um mögliche Unterschiede festzustellen. Vielmehr wurde folgende Passage als maßgeblichen Leistungsversprechen im Rahmen einer dynamischen Verweisung für den Versicherungsfall beurteilt: "[…] wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger in Nr. 2 aufgeführter Krankheiten und Krankheitserreger […] den versicherten Betrieb schließt; […]". Diese Entscheidung zeigt jedenfalls anschaulich, dass verbleibende Unklarheiten bei einem Bedingungswerk konsequent zu Lasten des Versicherers gehen.

Die Beurteilung dieses Falls ist aber auch durch weitere Besonderheiten bei Abschluss des Vertrags geprägt: So sollen dem VN vom Vermittler Vertriebsinformation der beklagten Versicherung ausgehändigt worden sein, wonach diese das Coronavirus den in den Bedingungen für die Betriebsschließung genannten Krankheitserregern gleichgestellt wird. Die Kammer ging nach der Anhörung des VN folgerichtig davon aus, dass ihm gerade vor diesem Hintergrund geraten wurde, die Betriebsschließungsversicherung wegen der aktuellen Situation noch abzuschließen. Dieser Hinweis ist dann natürlich auch konsequent bei der Auslegung zeitgleich überreichter Klauseln zu berücksichtigen bzw. stellt ggf. sogar eine vorrangige Individualabrede dar.

[44] LG München, Urt. v. 1.10.2020 – 12 O 5895/20 = BB 2020, 2306.

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