Hinweis

Im Ergebnis hat der Bekl. den Unfall durch eine unangepasste Geschwindigkeit zu mindestens 1/3 mitverursacht und verschuldet. Zu beachten ist, dass der Bekl. sich nicht auf einer Vorfahrtsstraße befand, sondern dass für ihn lediglich die "halbe Vorfahrt" galt, d.h. dass er gegenüber von rechts kommenden Fahrzeugen wartepflichtig war. Einmündungen, wie die hier streitgegenständliche, verpflichten den Berechtigten zur besonderen Beachtung der §§ 1 und 3 StVO, insb. aber zu einer angepassten Fahrgeschwindigkeit als nach rechts hin Wartepflichtigem, insofern wird damit aber auch der gegenüber dem Vorfahrtsberechtigten Wartepflichtige als von links Kommender geschützt, da auf eine angepasste Fahrweise vertraut werden darf (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 8 StVO Rn 38). Dementsprechend ist derjenige, der wie der Bekl. so schnell an eine gleichrangige Kreuzung heranfährt, dass er seiner Wartepflicht gegenüber einem von rechts Kommenden nicht mehr genügen kann, auch für einen Zusammenstoß mit einem von links kommenden Wartepflichtigen mitverantwortlich, wenn der Zusammenstoß durch die zu hohe Geschwindigkeit mitverursacht worden ist (Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl., § 8 StVO Rn 18).

Der Bekl. ist hier mit einer Geschwindigkeit gefahren, die ihm ein Anhalten vor einem von rechts kommenden, vorfahrtsberechtigten Fahrzeug nicht mehr ermöglicht hatte.

Beweis: Sachverständigengutachten

Dementsprechend hätte er den Unfall hier bei entsprechender Sorgfalt auch vermeiden können.

Beweis: wie vor

Soweit aber mit einer Geschwindigkeit gefahren wird, die ein Anhalten in der übersehbaren Strecke des Einmündungsbereichs nicht mehr ermöglicht hätte, stellt dies einen Verstoß gegen das Sichtfahrgebot gem. § 3 Abs. 1 S. 4 StVO dar. Ungeachtet der Vorfahrtsberechtigung des Bekl. ist daher auf Klägerseite ein Mitverschulden von 1/3 angemessen (vgl. die Nachweise bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Aufl., Rn 39).

 

Erläuterung:

Vorfahrtsfälle sind in aller Regel, was die daraus resultierende Haftungsbewertung betrifft, eindeutig. Regelmäßig trifft den Wartepflichtigen das volle Verschulden, die Betriebsgefahr des Berechtigten tritt zurück. Wie in diversen vermeintlich einfachen straßenverkehrsrechtlichen Konstellationen bestätigen jedoch auch hier Ausnahmen die Regel. Sofern die Vorfahrt nicht durch Verkehrszeichen geregelt ist, sondern der Grundsatz "rechts vor links" gilt, ist, da von rechts kommende Fahrzeuge Vorrang haben, natürlich nur mit der gebotenen Vorsicht und Bremsbereitschaft an die Kreuzung heranzufahren. Verlässt sich ein Verkehrsteilnehmer darauf, dass von rechts schon nichts kommen werde und man nach links ja vorfahrtsberechtigt ist, und fährt mit hoher Geschwindigkeit in die Kreuzung hinein, kann es bei einem Unfall zu einer Mithaftung bis zu 1/3 des Vorfahrtsberechtigten kommen. Insofern ist, siehe oben, vorzutragen, dass die regelmäßig aus den Fahrzeugschäden heraus zu rekonstruierende Geschwindigkeit des Vorfahrtsberechtigten so hoch gewesen ist, dass er einem von rechts kommenden Vorfahrtsberechtigten seinerseits nicht mehr den Vorrang hätte einräumen können. Dieser Vortrag ist notwendig, aber auch ausreichend, damit ein Sachverständiger unter konkreter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten vor Ort (Sichtmöglichkeiten, Ausgestaltung der Kreuzung etc.) feststellen kann, ob die abstrakte Annäherungsgeschwindigkeit überschritten worden ist oder nicht.

Sollte sich im Rahmen der Rekonstruktion ergeben, dass nicht nur die abstrakte Annäherungsgeschwindigkeit, sondern sogar auch die vor Ort erlaubte Höchstgeschwindigkeit überschritten worden ist, kann dies zu einem noch höheren Mithaftungsanteil des grds. Vorfahrtsberechtigten führen.

Autor: Nicolas Eilers

RA Nicolas Eilers, FA für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht, Groß-Gerau

zfs 12/2019, S. 663

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