1) Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und Müllabfuhr sind darauf angewiesen, auf ihrem Weg zum Einsatzort so schnell wie möglich dorthin zu gelangen. Andere Verkehrsteilnehmer und rot zeigende Lichtzeichenanlagen stehen dem Ziel der schnellstmöglichen Erreichung des Einsatzortes entgegen. Rechtlich ist es erforderlich, eine Ausnahme von dem im Straßenverkehr geltenden wohlerwogenen Grundsatz der Präferenz- und Privilegienfeindlichkeit zu machen. Bei erlaubter Verkehrsteilnahme sind alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt (vgl. BVerwG zfs 1998, 403, 405; BVerwG zfs 2011, 52, 56; Steiner NJW 1993, 34161, 3164; eingehend Haus, in: Haus/Zwerger, Das verkehrsrechtliche Mandat, Bd. 3: Verkehrsverwaltungsrecht einschließlich Verwaltungsprozessrecht, 2. Aufl., § 55 Rn 13 und § 62 Rn 25)

2) Die damit notwendige und gebotene ausnahmsweise Privilegierung der angeführten Einsatzfahrzeuge im Straßenverkehr erfolgt in §§ 35, 38 StVO, die hinsichtlich der zulässigen Ausstattung der Einsatzfahrzeuge durch §§ 52 Abs. 3, 55 Abs. 3 StVZO ergänzt werden. Einsatzfahrzeuge können als Sonderfahrzeuge gem. § 35 StVO eingesetzt werden, wobei § 35 StVO dem Führer des Einsatzfahrzeugs die Befugnis gibt, die Vorfahrt anderer Verkehrsteilnehmer zu missachten (so wörtlich der BGH NJW 1962 1167; vgl. auch OLG Celle NJW-RR 2011, 1323). Ein Vorfahrtsrecht des Sonderfahrzeuges wurde hierdurch nicht begründet (vgl. BGH NJW 1962, 648). § 35 StVO erfasst als Normadressaten nur den Fahrer des Einsatzahrzeuges, was sich auch darin zeigt, dass er die Sonderrechte nach § 35 Abs. 8 StVO nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausüben darf. Freie Fahrt gewährt ihm § 35 StVO nicht. Für die anderen Verkehrsteilnehmer wird allerdings ein mittelbarer Zwang etwa zum Verzicht auf Weiterfahrt trotz für sie geltenden Grünlichts begründet (vgl. OLG Frankfurt NZV 2013, 396).

3) Erst § 38 StVO begründet Verpflichtungen der übrigen Verkehrsteilnehmer gegenüber dem nunmehr durch den Einsatz von Blaulicht und Einsatzhorn zum Wegerechtsfahrzeug gewordenen Sonderrechtsfahrzeug (§ 38 Abs. 1 StVO). Die übrigen Verkehrsteilnehmer haben jetzt freie Fahrt zu schaffen (§ 38 Abs. 1 S. 2). Zum Erfordernis des gleichzeitigen Einsatzes von Blaulicht und Einsatzhorn vgl. BGH NJW 1962, 648; KG NZV 2006, 307.

4) Die Beurteilung der der Entscheidung zugrunde liegenden Konstellation – Einfahrt des Wegerechtsfahrzeuges bei für ihn Rot zeigender Lichtzeichenanlage – führte zu von dem Fahrer des Wegerechts nicht beachteten Sorgfaltspflichten. Zunächst musste er bei der Einfahrt in den Kreuzungsbereich prüfen, ob das Gebot, freie Fahrt zu gewähren, von allen betroffenen Verkehrsteilnehmern beachtet wurde (vgl. KG NZV 1992, 456; OLG Hamm DAR 1996, 93). Bestehen Zweifel hieran, muss der Fahrer des Einsatzwagens anhalten (vgl. KG NZV 2003, 126; KG NZ 2004 86).

Weiterhin ist der Fahrer des Einsatzwagens bei der Einfahrt in die Kreuzung bei Rot bei fehlender Gewissheit der Gefahrlosigkeit verpflichtet, mit geringer Geschwindigkeit, notfalls im Schritttempo einzufahren (vgl. BGH NJW 1975, 648; KG NZV 2008, 149; OLG Nürnberg DAR 2001, 512). Die eingehaltene Geschwindigkeit von 43 km/h war jedenfalls zu hoch.

Zu Haftungsquoten bei Unfällen mit Wegerechtsfahrzeugen vgl. Eggert, in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl., § 2 Rn 415.

RiOLG a.D. Heinz Diehl

zfs 12/2018, S. 676 - 679

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge