"… Entgegen der Annahme des AG liegen die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis des ASt. gem. den §§ 3 Abs. 1 S. 1 StVG, 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 11 Abs. 2, 14 FeV nicht vor. Auf der Grundlage der im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung und auch derzeit bekannten Tatsachen kann ohne weitere Sachaufklärung nicht von der fehlenden Fahreignung des ASt. ausgegangen werden."

Der ASt. hat durch Vorlage des ärztlichen Attestes der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. C. vom 6.1.2018 sowie von Verordnungen dieser Ärztin aus dem Zeitraum vom 18.1.2018 bis 9.5.2018 glaubhaft gemacht, dass er seit Jahresbeginn 2018 aufgrund verschiedener Erkrankungen (ADHS, dreifacher Bandscheibenvorfall, mittlere bis starke Schlafstörungen) an einer ärztlich begleiteten Therapie mit Cannabisprodukten teilnimmt und dauerhaft ärztlich verordnete Cannabisprodukte einnimmt. Vor dem Hintergrund dieser ärztlich verordneten Dauerbehandlung mit Cannabisprodukten hat der AG mit Blick auf die Regelungen in § 46 Abs. 1 S. 2 FeV i.V.m. Vorb. 3 sowie Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV keine tragfähigen Feststellungen dazu getroffen, ob bei dem Antragsteller eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kfz unter das erforderliche Maß gegeben ist.

Bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 4.5.2018 und erst recht im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 3 StVG Rn 32), hier also der Zeitpunkt der noch zu erfolgenden Widerspruchsentscheidung – war und ist offenbar, dass die vom AG dem Amtsarzt vorgelegte Fragestellung – Einnahme psychoaktiv wirkender Stoffe, bei Cannabiskonsum: Konzentration und Konsummuster der Vergangenheit – den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls nicht gerecht wird. Nach der Vorsprache des ASt. am 6.2.2018 war dem AG auf Sachbearbeiterebene bekannt, dass der ASt. seit Jahresbeginn Cannabisprodukte aufgrund ärztlicher Verschreibung einnimmt. Es hätte sich dem AG daher aufdrängen müssen, unter Beachtung der Regelungen in § 46 Abs. 1 S. 2 FeV i.V.m. Vorb. 3 sowie 9.6.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV die Sachaufklärung nunmehr darauf zu richten, ob die Kraftfahreignung trotz der bekannten Erkrankung und der damit verbundenen Dauermedikation gegeben ist, ggf. ergänzt um die weiteren Fragen, inwieweit sich der illegale Raschgiftkonsum vor 2018 auf die Fahreignung noch auswirkt und ob neben der ärztlich verordneten Einnahme missbräuchlicher Cannabiskonsum stattfindet (vgl. Merkblatt des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom November 2015). Der stattdessen einen "gewöhnlichen" regelmäßigen Cannabiskonsum abhandelnde Bescheid vom 4.5.2018, in dem sich der AG auch nicht ansatzweise mit der ärztlich verordneten Einnahme von Cannabisprodukten befasst hat, trägt den Besonderheiten des Einzelfalls ersichtlich nicht Rechnung.

Fehlerhaft ist die Verfahrensweise des AG im Weiteren auch deshalb, weil gemäß der ständigen, vom Senat bereits beanstandeten Verwaltungspraxis des AG entgegen § 28 Abs. 1 SVwVfG von einer Anhörung des ASt. abgesehen wurde. Entgegen der Behauptung des AG lagen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Nr. 1 SVwVfG fallbezogen nicht vor. Nachdem die amtsärztliche Begutachtung mehrere Monate in Anspruch nahm, war die Angelegenheit bei Eingang des Schreibens des Amtsarztes vom 2.5.2018 keineswegs so dringlich, dass gerade mit Blick auf die dargelegten Besonderheiten des Einzelfalles selbst eine kurzfristige Anhörung des ASt. nicht mehr möglich war. Es drängt sich der Verdacht auf, dass von einer Anhörung des ASt. abgesehen wurde, um sich nicht mit zu erwartenden, einer standardmäßigen Entscheidung entgegenstehenden Argumenten auseinandersetzen zu müssen. Zwar kann die Anhörung gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3 SVwVfG im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden und ist ein Verfahrensfehler unter den Voraussetzungen des § 46 SVwVfG unbeachtlich. Allerdings steht der Rechtsverstoß bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren im Raum. Der gesetzlich verbürgte Anspruch des Beteiligten auf Anhörung ist eine notwendige Folge des Rechtsstaatsprinzips und verfassungsrechtlich geboten. Sich darüber – zumal mit System – hinwegzusetzen, steht einer gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebundenen Behörde eindeutig nicht zu.

Soweit der AG im gerichtlichen Verfahren nunmehr die fehlerhafte Fragestellung an den Gutachter einräumt, dem ASt. aber den Nachweis einer abweichend von der Regelvermutung ausnahmsweise noch bestehenden Fahreignung auferlegt, verkennt er, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis feststellen muss und damit der Frage nachzugehen hat, ob mit Blick auf die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kfz unter das erforderliche Maß geben ist...

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