" … II. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Prüfung des Schuld- und Rechtsfolgeausspruchs hat einen den Angekl. benachteiligenden Rechtsfehler nicht ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Das LG hat insb. ohne Rechtsfehler das Eintreten der Ausnahmevorschrift des § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen und unter Heranziehung von aus dem Ausstellermitgliedsstaat herrührenden Informationen belegt. Danach berechtigte die in Tschechien unter dem 7.5.2012 erworbene Fahrerlaubnis den Angekl. nicht, in Deutschland ein erlaubnispflichtiges Kfz zu führen."

1. Das LG hat im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass nach Art. 2 Abs. 1 der hier anzuwendenden 3. Führerscheinrichtlinie (RL 2006/126/EG v. 20.12.2006; ebenso bereits die 2. Führerscheinrichtlinie – Art. 1 Abs. 2 der RL 91/439/EWG) in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Fahrerlaubnisse grds. anzuerkennen sind. Es ist nach der Rspr. des EuGH alleinige Sache des Ausstellermitgliedstaates zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, namentlich diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung (vgl. Art. 7 der 3. Führerscheinrichtlinie), eingehalten sind. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist generell als Nachweis dafür anzusehen, dass dessen Inhaber am Tag der Ausstellung die von der Richtlinie vorgesehenen (Mindest-)Voraussetzungen erfüllt hat (vgl. EuGH NJW 2010, 217; BVerwG, Urt. v. 30.5.2013 – 3 C 18/12, juris Rn 19 m.w.N. = BVerwGE 146, 377). Ausnahmen von der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung hat der EuGH im Hinblick auf die Nichteinhaltung des Wohnsitzerfordernisses lediglich dann für mit den europarechtlichen Bestimmungen vereinbar gehalten, wenn entweder aus dem Führerscheindokument selbst oder anhand von aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen fest steht, dass die von der Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen für die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat nicht eingehalten worden sind (vgl. EuGH NJW 2008, 2403; 2011, 3635 [noch zur 2. Führerscheinrichtlinie] sowie die weiteren Nachweise bei Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 43. Aufl., FeV § 28 Rn 26). Diese Rspr. hat der deutsche Normgeber im Rahmen des § 28 Abs. 4 Nr. 2 der FeV in der bis 18.1.2009 geltenden Fassung bzw. in § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV in der ab 19.1.2009 geltenden Fassung dahingehend umgesetzt, dass nach dieser Vorschrift die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht gilt (u.a.) für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler i.S.d. § 7 Abs. 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben. Denn in diesem Fall ist der von einem anderen Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirt schaftsraum ausgestellte Führerschein von vornherein nicht als Nachweis dafür geeignet, dass das Wohnsitzprinzip nach Art. 7 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 9 der RL 91/439/EWG bzw. nach Art. 7 Abs. 1 lit. e i.V.m. Art. 12 der RL 2006/126/EG bei Erteilung der ausländischen EU- oder EWR Fahrerlaubnis eingehalten wurde (vgl. BT-Drucks 851/08 S. 6). § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV greift dabei bereits dann ein, wenn aufgrund der vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Information festgestellt werden kann, dass der Fahrerlaubnisinhaber im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis nicht im Ausstellermitgliedstaat einen ordentlichen Wohnsitz i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 2 FeV bzw. Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG begründet hatte (vgl. Senat, Beschl. v. 2.8.2016 – 1 OLG 1 Ss 55/16, juris Rn 18; BVerwG zfs 2011, 710; 2015, 55; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 1.7.2009 – 10 B 10450/09, BeckRS 2009, 36030; VGH München zfs 2012, 416; VG Saarland, Beschl. v. 9.2.2011 – 10 L 16/11, juris Rn 6; VG Augsburg, Beschl. v. 25.5.2016 – Au 7 S 16.258, juris Rn 37; Koehl, NZV 2015, 7, 9). Nach der Rspr. des Europäischen Gerichtshofs ist diese Ausnahme von der Verpflichtung gegenseitiger Anerkennung allerdings eng auszulegen; die von ihm zugelassenen Erkenntnisquellen, auf die sich der Aufnahmemitgliedstaat stützen kann, um die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu verweigern, ist als abschließend und erschöpfend anzusehen (EuGH NJW 2010, 217, 219).

2. a) Will ein Mitgliedstaat eine in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis die Anerkennung versagen und ergibt sich – wie hier – der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis i.S.v. Art. 7 Abs. 1 lit. e) der 3. Führerscheinrichtlinie bzw. § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV nicht bereits aus dem Führerscheindokument selbst, bedarf es daher stets der Einholung entsprechender unbestreitbarer Informationen beim Ausstellermitglied...

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