Einführung

Das Überholen, § 5 StVO, spielt in der Praxis eine überragende Rolle. Wird nicht richtig überholt, kann es zu schweren Unfällen kommen, die zivil-, straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich zu ahnden sein können. Der nachfolgende Artikel setzt sich mit dem Überholen aus zivil- und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Sicht auseinander. Ziel ist es, einen aktuellen Überblick über die komplexe Vorschrift zu geben, wobei der Artikel sich auf die praktisch wichtigsten Fälle des § 5 StVO beschränkt.

A. Zivilrecht

§ 5 ist eine zentrale Norm der StVO, da das Überholen anderer Verkehrsteilnehmer eines der gefährlichsten Fahrmanöver[1] überhaupt ist.

[1] OLG Karlsruhe zfs 2004, 321.

I. Überholen

Überholen[2] ist der tatsächliche absichtslose Vorgang des Vorbeifahrens auf demselben Straßenteil an einem anderen Verkehrsteilnehmer, der sich in derselben Richtung bewegt oder verkehrsbedingt wartet.[3] Der Überholvorgang setzt keine Geschwindigkeitserhöhung voraus, auch ein Fahrstreifenwechsel ist nicht erforderlich.[4] Der Überholvorgang lässt sich in drei Phasen einteilen, nämlich das Aufschließen und Heranfahren an das zu überholende Fahrzeug, das Vorbeifahren an diesem Fahrzeug und schließlich das Gewinnen eines ausreichenden Sicherheitsabstands und dem Wiedereinordnen vor dem überholten Fahrzeug.[5]

[2] Vgl. zur wichtigen Unterscheidung zum Vorbeifahren Gutt, DAR 2015, 74 ff. und NK-GVR/Gutt, 1. Aufl., § 5 und 6 StVO.
[3] BGH NJW 1968, 1533, 1534; KG r+s 2011, 174.
[4] BGH NJW 1968, 1533, 1534; OLG Düsseldorf NZV 1990, 319 m.w.N.
[5] OLG Düsseldorf DAR 1980, 1116.

II. Beginn und Ende des Überholens

Grundsätzlich setzt das Überholen keine Überholabsicht voraus. Faktisch kann überholt werden, ohne dass Wissens- oder Wollenselemente vorliegen. Das Überholen ist ein rein tatsächlicher Vorgang.[6] Oftmals können jedoch subjektive Elemente nicht unberücksichtigt bleiben, um verschiedene Verkehrsvorgänge voneinander abzugrenzen.[7] Das Überholen beginnt noch nicht, wenn lediglich etwas nach links versetzt gefahren wird, um an dem vorausfahrenden Fahrzeug vorbeischauen zu können.[8]

Dem Überholenden obliegt eine doppelte Rückschaupflicht, und zwar vor Setzung des Fahrtrichtungsanzeigers sowie unmittelbar vor dem Ausscheren. Der nachfolgende Verkehr soll geschützt werden. Zudem muss der Fahrtrichtungsanzeiger – ebenfalls zum Schutz des nachfolgenden Verkehrs – ordnungsgemäß gesetzt werden, um die Überholabsicht anzuzeigen, Abs. 4 a.

Beendet ist der Überholvorgang erst mit dem Wiedereinordnen in ausreichendem Abstand nach erneuter Fahrtrichtungsanzeige.[9]

[6] Heß in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, § 5 StVO Rn 9 m.w.N.
[7] OLG Karlsruhe NZV 1972, 962.
[8] Ebenso BayObLG DAR 1988, 361.
[9] KG zfs 2007, 202, 203; OLG Hamm DAR 2000, 265.

III. Das Linksüberholen, Abs. 2

Der Grundsatz des Linksüberholens gehört zu den tragenden Prinzipien der StVO, dessen Missachtung angesichts der Tatsache, dass falsches Überholen zu den häufigsten und gefährlichsten Unfallursachen zählt, keine nachsichtige Beurteilung zulässt.[10] Derjenige, der beabsichtigt zu überholen, muss sich sicher sein, dass ihm der gesamte Überholweg hindernisfrei zur Verfügung steht.[11] Schon bei Zweifeln hieran ist das Überholen unzulässig.

Es muss mit wesentlich höherer Geschwindigkeit überholt werden. Der Überholvorgang soll nicht unnötig lange dauern. Es soll eine Behinderung und Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs verhindert werden, indem der Überholvorgang schnell und in einem Zuge abgeschlossen werden kann.[12] Was genau eine wesentlich höhere Geschwindigkeit ist, wird nicht einheitlich beantwortet[13] und wird regelmäßig auch eine Frage des konkreten Einzelfalls sein, so dass eine allgemein gültige Aussage nicht getroffen werden sollte. In Korrespondenz mit § 3 StVO darf die Geschwindigkeit des Überholenden gleichwohl nicht höher sein als erlaubt. Das bedeutet, dass, wenn der Überholende nicht ohne Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit den Überholvorgang abschließen kann, für ihn faktisch ein Überholverbot besteht.[14]

[10] LG Mönchengladbach NZV 1990, 195.
[13] Zum Stand in Rechtsprechung und Literatur z.B. OLG Zweibrücken SVR 2010, 66 m.w.N.
[14] BGH NJW 1974, 1205; Heß in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, § 5 StVO Rn 23 m.w.N.

IV. Unzulässiges Überholen/Überholverbot, Abs. 3

Das Überholverbot des Abs. 3 dient vor allem dem Schutz des Gegenverkehrs, insgesamt aber allen Verkehrsteilnehmern, die durch ein falsches/verbotenes Überholen gefährdet werden können. Nicht umfasst vom Überholverbot sind Fußgänger[15] (§ 26 Abs. 3) und der von einem Grundstück in den fließenden Verkehr Einfahrende (§ 10) wegen der Spezialvorschriften.

1. Unklare Verkehrslage, Abs. 3 Nr. 1

Die unklare Verkehrslage bedeutet ein faktisches Überholverbot. Es handelt sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Auslegung bedürfen. Eine Verkehrslage ist unklar, wenn der Überholende unter den gegebenen Umständen nicht mit einem ungefährlichen Überholvorgang rechnen darf,[16] die Verkehrslage also unübersichtlich ist und sich ihre Entwicklung nach objektiven Umständen nicht beurteilen lässt.[17] D...

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