BGB §§ 253 Abs. 2, 906 Abs. 2 S. 2

Der Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB gewährt kein Schmerzensgeld, da er keinen Schadensersatzanspruch, sondern einen Entschädigungsanspruch darstellt, der lediglich die durch die zu duldende Einwirkung eingetretene Vermögenseinbuße beseitigen soll, nicht dagegen wie ein Schadensersatzanspruch der Wiederherstellung des Zustands dient, der bestünde, wenn die Einwirkung nicht zu der unzumutbaren Beeinträchtigung geführt hätte.

(Leitsatz der Schriftleitung)

BGH, Urt. v. 23.7.2010 – V ZR 142/09

Die Kl. bewohnt mit ihrer Familie ein Eigenheim, in dessen Umgebung es in den Jahren 2005 und 2006 zu Erderschütterungen kam, die auf den in der Gegend betriebenen Untertage-Bergbau zurückzuführen sind. Sie hat aus den erheblichen Schwingungsgeschwindigkeiten von bis zu 71 mm/sec dadurch bei ihr hervorgerufene psychische Probleme in Form einer Phobie, Schlaflosigkeit und ständigen Angstzuständen wegen befürchteter weiterer Beben einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von mind. 4.000 EUR abgeleitet. AG und LG haben den Klageanspruch verneint. Die vom LG zugelassene Revision blieb erfolglos.

Aus den Gründen:

[3] “Nach Auffassung des Berufungsgerichts war die Kl. nach § 906 Abs. 2 S. 1 BGB zur Duldung der Erschütterungen verpflichtet, weil die dadurch hervorgerufene – unterstellte – wesentliche Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung durch die ortsübliche Benutzung des emittierenden Grundstücks hervorgerufen worden sei und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen habe verhindert werden können. Deshalb fehle es an einem nach §§ 114 ff. BBergG zu ersetzenden Bergschaden. Einem Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB stehe entgegen, dass der Kohleabbau auf der Grundlage einer behördlichen Genehmigung und somit nicht widerrechtlich betrieben worden sei. Konkrete Anhaltspunkte für eine Missachtung der behördlichen Vorgaben oder eine Verletzung von Verkehrspflichten durch die Bekl. seien von der Kl. nicht aufgezeigt worden. Auch ein verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB komme nicht in Betracht, weil gesundheitliche Schäden nicht nach dieser Vorschrift ausgeglichen werden könnten.

[4] II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

[5] 1. Im Ergebnis zu Recht verneint das Berufungsgericht einen Schmerzensgeldanspruch nach den Vorschriften über die Bergschadenshaftung (§§ 114 ff. BBergG). Es fehlt – entweder, wie das Berufungsgericht meint, nach § 114 Abs. 2 Nr. 3 BBergG oder nach § 114 Abs. 1 BBergG – an einem Bergschaden. Die Revision nimmt dies hin. Sie meint lediglich, das Berufungsgericht habe nicht offen lassen dürfen, ob die Erschütterungen die Benutzung des von der Kl. bewohnten Grundstücks unwesentlich oder wesentlich beeinträchtigt hätten, denn die Pflicht zur Duldung unwesentlicher Beeinträchtigungen führe nicht zu einem Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB. Dieser Einwand ist unerheblich, weil das Berufungsgericht zugunsten der Kl. eine wesentliche Nutzungsbeeinträchtigung unterstellt und damit den Anwendungsbereich der verschuldensunabhängigen Haftung der Bekl. nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB eröffnet hat.

[6] 2. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass der betroffene Grundstückseigentümer bzw. -nutzer nach dieser Vorschrift kein Schmerzensgeld verlangen kann.

[7] a) Anstelle des durch die Duldungspflicht nach § 906 Abs. 2 S. 1 BGB ausgeschlossenen Abwehranspruchs erhält der beeinträchtigte Grundstückseigentümer bzw. -nutzer gegen den Eigentümer des emittierenden Grundstücks nach S. 2 der Vorschrift einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch in Geld, wenn die Einwirkung die ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt. Diese Regelung dient dem Interessenausgleich unter Nachbarn und beruht auf dem Gedanken von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis (siehe nur Senat BGHZ 157, 188, 193 [= WuM 2004, 215]). Sie findet im Fall von Erschütterungen der Erdoberfläche, die durch untertägigen Bergbau hervorgerufen werden, im Verhältnis zwischen beeinträchtigtem Eigentümer und Bergbauberechtigtem Anwendung (Senat, BGHZ 178, 90).

[8] b) Bei dem Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB handelt es sich um einen aus dem Grundstückseigentum abgeleiteten Anspruch; die Gewährung einer Entschädigung auf seiner Grundlage setzt einen Bezug zu dem beeinträchtigten Grundstück in Form der Eigentums- oder Besitzstörung mit der Folge einer zu duldenden Nutzungsbeeinträchtigung voraus (siehe nur Senat, Urt. v. 18.9.2009, V ZR 75/08, NJW 2009, 3787, 3788 [= WuM 2009, 691 KL] m. umfangr. Nachw.). Von einem Schadensersatzanspruch unterscheidet sich der Ausgleichsanspruch darin, dass die Entschädigung die durch die zu duldende Einwirkung eingetretene Vermögenseinbuße beseitigen soll, während der Schadensersatz der Wiederherstellung des Zustands dient, der bestünde, wenn die Einwirkung nicht zu der unzumutbaren Beeinträchtigung geführt hätte (Senat BGHZ 147, 45, 53). Aus...

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