A) FIS-Verhaltensregeln

I. Anwendungsbereich

Die konkreten Verhaltens- und Sorgfaltsanforderungen beim alpinen Skifahren und Snowboarden richten sich nach ganz herrschender Ansicht jedenfalls in allen Alpenländern übereinstimmend nach den 10 Regeln der Fédération Internationale de Ski (FIS-Regeln[2]) als dort geltendem Gewohnheitsrecht.[3] Skilangläufer verfügen über eigene Regeln.[4]

Die FIS-Regeln gelten für alle Skifahrer und Snowboarder[5] auf markierten Pisten, auf jedem angrenzenden Verkehrsraum und in allen Gebieten des freien Skiraums.[6] Jeder Skifahrer ist verpflichtet, sie zu kennen und einzuhalten[7] und darf darauf vertrauen, dass auch die anderen die FIS-Regeln beachten und einhalten. Dieser "skirechtliche Vertrauensgrundsatz" wird einhellig vertreten.[8]

Die FIS-Regeln als Maßstab für sportgerechtes Verhalten des sorgfältigen und verantwortungsbewussten Skifahrers haben zum Ziel, Unfälle auf Abfahrten zu vermeiden. Kommt es zu einem Unfall, ist zur zivilrechtlichen Entscheidungsfindung die jeweilige FIS-Regel direkt bzw. der entsprechende skirechtliche Grundsatz anzuwenden, um im Wege der Subsumtion zum jeweiligen Ergebnis zu kommen. Eine einseitige Schuldzuweisung wird hierbei wohl nur bei einwandfreien und groben Verstößen gegen das Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme möglich sein.

Zu Lasten eines Snowboarders ist bei im Übrigen gleichrangigem Haftungsanteil (50:50) unter Umständen zu berücksichtigen, dass ein Snowboard im Vergleich zu regulären Ski schwerer ist und dadurch wegen einer höheren Aufpralldynamik bei Kollisionen höhere Verletzungsrisiken birgt[9] und zudem auch schwerer zu steuern ist, weil jeder zweite Schwung dem Snowboarder einen toten Winkel beschert.[10]

[2] Aktuelle Fassung 2002.
[3] Vgl. OLG Hamm, NJW 2002, S. 318, Stiffler, SpuRe 2006, S. 47.
[5] Der Begriff Skifahrer umfasst im Folgenden auch Snowboarder.
[6] Hermann/Götze, NJW 2003, S. 3255.
[7] Offizielle Erläuterungen zu den FIS-Regeln (2002).
[8] Scheuer, DAR 1990, S. 122.
[9] So auch OLG München, SpuRe 1994, S. 36.
[10] Daher angenommene Haftungsverteilung: 60 : 40 zu Lasten des Snowboarders, vgl. LG Bonn, NJW 2005, S. 873.

II. Analoge Anwendung

Die FIS-Regeln sind analog auf sämtliche Sportgeräte, die durch ihre Gleiteigenschaft eine dem Skifahren vergleichbare Abfahrt ermöglichen, anzuwenden, z.B. Snowbike, Bigfoot, Swingbo, Snowblade.[11]

Die Sorgfaltspflichten beim Schlittenfahren sowie auf Rodelbahnen sind ebenfalls entsprechend den FIS-Verhaltensregeln für Skifahrer zu bestimmen.[12]

Wer aber Schneegleitgeräte auf Skipisten verwendet, die nicht ähnlich wie Skier gelenkt und abgebremst werden können (z.B. Tubing, Schlitten, Autoreifen), gefährdet Skipistenmitbenutzer in einem Ausmaß, welches das beim Pistenskilauf übliche Maß überschreitet.[13]

Die FIS-Regeln finden auch auf Wintersportsonderflächen, wie z.B. Funparks, Anwendung. Die Benutzer solcher Anlagen haben diese Verhaltensregeln einzuhalten oder die vom Halter zur Erzielung gleicher Sicherheit vorgesehenen Regeln und Vorkehrungen zu beachten.[14]

[11] Pichler, SpuRe 2003, S. 1.
[12] OLG Nürnberg, NJW RR 2002, S. 448; AG St. Blasien, VersR 1999, S. 462; OLG München, VersR 1979, S. 1014.
[13] Pichler, SpuRe 2003, S. 2; Herrmann/Götze, NJW 2003, S. 3254 fordern generell die Anwendung der FIS-Regeln auf die Benutzer solcher Geräte.
[14] Pichler, NJW 2004, S. 645.

III. FIS-Regeln 1–7

 

FIS-Regel 1: "Grundregel"

Jeder Skifahrer und Snowboarder muss sich so verhalten, dass er keinen anderen gefährdet oder schädigt.

1) Allgemeines Rücksichtnahmegebot  

FIS-Regel 1 stellt nach seinem Wortlaut einen Auffangtatbestand dar und ist die Generalklausel des Regelwerks. Skifahrer haben sich danach aufmerksam und vorausschauend zu verhalten. Regel 1 hilft bei der Beurteilung von Ursache und Schuld, sofern das Schadenereignis auf einen Geschehensablauf zurückgeht, der vom Wortlaut der speziellen Regeln nicht unmittelbar erfasst ist. Da die FIS-Regeln nicht stets mit den aktuellen Entwicklungen im Skisport Schritt halten können, erfährt das "allgemeine Rücksichtsnahmegebot" der FIS-Regel 1 große Bedeutung.[16]  

Jeder Skifahrer hat grundsätzlich ein freies Pistenwahlrecht. Der Schwierigkeitsgrad einer Piste ist aber von jedem Skifahrer zu berücksichtigen. Eine Piste, deren Schwierigkeitsgrad über dem skitechnischen Können des Fahrers liegt, sollte nicht oder nur dem Fahrkönnen entsprechend befahren werden. Auf einer steilen Rennpiste kann grds. nur mit Geübten, auf einer leichten Abfahrt muss mit Anfängern und deren Fahrfehlern gerechnet werden.

Ein geübter Fahrer, der die Regeln missachtet, ist aber sicherlich ein höheres Risiko für andere Pistenbenutzer als ein ungeübter Fahrer, der sich regelkonform verhält.[17]

FIS-Regel 1 gilt auch in besonderem Maße im Bereich von Flachstücken, z.B. zwischen einem Pistenrestaurant und einer Liftstation.[18] Das Umfeld von Lifttalstationen ist immer ein neuralgischer Pistenbereich, der für jeden Pistenbenutzer erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht erfordert.[19]

Auch im Bereich, in dem Skifahrer zuein...

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