SGB VII § 8

Leitsatz

1. Versicherungsschutz besteht auf dem Hinweg zur Arbeit mit dem Durchschreiten der Haustür und erstreckt sich ab dann auch auf Gefahrenmomente, die vom privaten Grundstück ausgehen.

2. Tritt der Versicherte die Fahrt zur Arbeit auf dem eigenen Grundstück an, indem er das zuvor geöffnete Hoftor durchfährt, so spricht eine natürliche Betrachtungsweise dafür, von dem Fortbestehen der auf das Erreichen der Arbeitsstätte gerichteten Handlungstendenz auch beim Verschließen des Hoftors (einschließlich des Hin- und Rückwegs zum Pkw) auszugehen.

3. Sieht man in der Verrichtung im Zusammenhang mit dem Verschließen des Hoftors eine Unterbrechung des Hinwegs zur Arbeit, so handelt es sich jedenfalls nur um eine geringfügige, die im Hinblick auf den Versicherungsschutz nicht schädlich ist.

LSG Darmstadt, Urt. v. 2.2.2016 – L 3 U 108/15

Sachverhalt

Der Kl. begehrt die Feststellung eines Unfalls vom 28.1.2013 als Wege- bzw. Arbeitsunfall. Zuvor hatte er einen weiteren Arbeitsunfall erlitten, der zur Folge hatte, dass ihm nach einer zunächst erfolgten Amputation der linken Hand diese wieder angenäht wurde. Er erhielt eine Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 % der Bau-Berufsgenossenschaft.

Der 1952 geborene Kl. war als Schulhausmeister bei der Stadt A für zwei Schulen angestellt. Am 28.1.2013 wollte er gegen 6:30 Uhr mit der Arbeit beginnen. Er verließ sein Wohnhaus gegen 6:30 Uhr durch die Haustür. Sein Auto hatte er auf dem durch ein Hoftor verschlossenen Innenhof geparkt. Er ging von seiner Haustür über den Innenhof zu dem Hoftor, öffnete es, fuhr sein Auto aus dem Hof heraus und stellte es unmittelbar vor dem Hoftor ab. Sodann stieg er aus dem Auto, um das Hoftor zu schließen. In Höhe des Hecks des Pkw rutschte er auf der vereisten Fahrbahn aus und fiel auf die rechte Schulter. Bei dem Sturz erlitt er eine schwere mehrfragmentäre Schulterverletzung (sog. Bankart-Läsion) und musste deshalb längerfristig ärztlich behandelt werden.

Die beklagte Berufsgenossenschaft holte ein Sachverständigengutachten ein, das bezüglich der Unfallfolgen zu einer MdE von 30 % gelangte. Die Begutachtung brach die Bekl. ab, da sie davon ausging, dass ein Arbeitsunfall nicht vorliege. Der Kl. habe den Weg zur Arbeit unterbrochen, um das Hoftor zu schließen. Diese Unterbrechung habe allein privaten Zwecken gedient, so dass sich der Kl. zum Zeitpunkt des Unfalls auf einem nicht versicherten Weg befunden habe. Der Widerspruch des Kl. gegen diesen Bescheid wurde von der Bekl. zurückgewiesen.

Das Sozialgericht gab der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage statt. Zur Begründung führte es aus, dass das Ereignis vom 28.1.2013 als Wegeunfall anerkannt werden müsse.

Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

2 Aus den Gründen:

"Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu der versicherten Tätigkeit zählt gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Die Formulierung “des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges’ kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit. Dieser besteht, wenn der Weg wesentlich zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Falle die eigene Wohnung zu erreichen. Da der Gesetzgeber die Grundentscheidung “Versicherungsschutz auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit’ in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII getroffen hat, ist von der Rspr. nur zu klären, ob der Versicherte, als er verunglückte, einen solchen versicherten Weg zurücklegte und infolgedessen einen Gesundheitsschaden erlitten hat. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung noch der Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel – die Arbeitsstätte des Versicherten – dient, ist seine Handlungstendenz. Die darauf gerichtete Handlungstendenz muss durch objektive Umstände bestätigt werden. Dies zeigt sich im äußeren Verhalten des Versicherten, wie es objektiv beobachtbar ist und stellt darauf ab, ob sein äußeres Handeln mit seiner inneren Tendenz zur Arbeit zu gelangen übereinstimmt (BSG v. 9.12.2003 – B 2 U 23/03 R, BSGE 91, 293; v. 4.7.2013 – B 2 U 12/12 R, SGb 2014, 392, 394). Die jüngere Rspr. des Bundessozialgerichts – auf die die Bekl. vor allem abhebt – stellt zur Bestimmung der Handlungstendenz auf dem aktuell zurückgelegten unmittelbaren Weg zur Arbeit allein auf die letzte ausgeübte und nach außen erkennbare zum Unfall führende Handlung des Versicherten ab, ohne diese Verrichtung in eine weitergehende Handlungsabsicht einzubetten (BSG vom 9.11.2010 – B 2 U 14/10 R – juris Rn 22; ebenso Spellbrink, Gemischte Tätigkeit und gemischte Motivationslage bei der Feststellung von Arbeitsunfällen, WzS 2011, 351, 352; Schur/Spellbrink, Unfallversicherungsschutz auf de...

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