VVG § 178 Abs. 2

Leitsatz

In der privaten Unfallversicherung genügt es für einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsbeeinträchtigung, dass das Unfallereignis an der eingetretenen Funktionsbeeinträchtigung mitgewirkt hat, wenn diese Mitwirkung nicht gänzlich außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegt. Eine wesentliche oder richtungsgebende Mitwirkung ist anders als im Sozialversicherungsrecht nicht zu verlangen. Daher schließt das Vorhandensein von Vorschäden für sich genommen die Kausalität nicht aus.

BGH, Urt. v. 19.10.2016 – IV ZR 521/14

Sachverhalt

Die Kl. nimmt die Bekl. aus einer bei ihr auf Grundlage der AUB 2000 unterhaltenen Unfallversicherung auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung von 34.000 EUR in Anspruch. Am 2.11.2009 war sie als Übungsleiterin in einem Sportverein bei einem Kinderturnen tätig. Dabei gab sie einem zehnjährigen Jungen beim Versuch eines Flickflacks Hilfestellung. Infolge einer hierbei ausgeführten Drehbewegung kam sie selbst zu Fall und fing sich mit den Händen auf der Turnmatte ab. Danach verspürte sie heftige Schmerzen im Kreuz. Am nächsten Tag konnte sie nicht mehr alleine aus dem Bett aufstehen. Zwei bis drei Tage später war sie nicht mehr in der Lage, auf dem linken Bein zu stehen. Nachdem sich die Schmerzen bis zu einer Ohnmacht ausgeweitet hatten, begab sie sich vom 5. bis 9.11.2009 in stationäre Behandlung. Dabei wurden im MRT bei L4/L5 eine Bandscheibenprotrusion und eine Spinalkanalstenose festgestellt. Mit Schreiben v. 30.1.2011 machte die Kl. wegen einer Beeinträchtigung der Beweglichkeit des Rumpfes, einer verminderten Belastbarkeit sowie in das linke Bein ausstrahlender Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich Ansprüche aus der Unfallversicherung geltend.

Der vom LG beauftragte Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beschwerden der Kl. nicht auf den Bandscheibenprolaps, sondern auf eine Facettengelenksarthrose zurückzuführen seien, für die der Unfall keine richtungsweisende Verschlimmerung dargestellt habe, sondern die durch den Unfall nur aktiviert worden sei. Daraufhin hat sich die Kl. auf diese Facettengelenksarthrose als Ursache ihrer Bewegungseinschränkungen gestützt. Sie hat behauptet, auch die Arthrose sei erst unfallbedingt entstanden.

2 Aus den Gründen:

[10] "… I. Das BG hat – nach ergänzender Beweisaufnahme durch ein weiteres Gutachten des schon in erster Instanz tätigen SV und dessen mündliche Anhörung – das Vorliegen eines Unfallereignisses bejaht, sich aber davon überzeugt gezeigt, dass eine bei der Kl. ggf. bestehende dauerhafte Beeinträchtigung nicht auf dieses Ereignis, sondern auf vorbestehende degenerative Veränderungen zurückzuführen sei."

[11] Der SV habe dargelegt, dass bei der Kl. kein traumatisch bedingter Bandscheibenvorfall vorliege und dass für ihre Beschwerdesymptomatik eine Facettengelenksymptomatik verantwortlich sei, die aber ebenfalls nicht auf akut-traumatische Veränderungen, sondern auf einen überaltersgemäßen Verschleiß hindeute. Insgesamt seien die bei dem Vorfall auf die Kl. einwirkenden Kräfte gering gewesen und hätten lediglich eine Aktivierung der bereits bis dahin klinisch stumm vorbestehenden degenerativen Facettengelenksarthrose bewirkt. Eine eingetretene Invalidität der Kl. – gleich welchen Grades – sei daher nicht unfallbedingt.

[12] Die Frage einer Vorinvalidität oder einer Anspruchsminderung wegen mitwirkender Krankheiten oder Gebrechen stelle sich somit nicht.

[13] II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das BG hätte die Kausalität des von ihm festgestellten Unfallgeschehens für den bei der Kl. eingetretenen Dauerschaden – dessen Vorliegen mangels gegenteiliger Feststellungen für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist – mit der von ihm gegebenen Begründung nicht verneinen dürfen.

[14] 1. Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsbeeinträchtigung besteht nach der Äquivalenztheorie, wenn der Unfall im Sinne einer conditio sine qua non nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Gesundheitsschaden entfiele. … Dabei ist Mitursächlichkeit ausreichend, was schon aus der Tatsache folgt, dass in Nr. 3 AUB 2000 bei der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen, also unfallfremden Faktoren, kein Ausschluss, sondern nur eine Anspruchsminderung entsprechend dem Mitwirkungsanteil vorgesehen ist (Senat VersR 2013, 1570 Rn 24; VersR 2012, 92 Rn 13 ff. … ).

[15] Weiterhin muss nach der Adäquanztheorie das Ereignis im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolgs der eingetretenen Art geeignet sein (Senat VersR 2013, 1570 Rn 21 … ).

[16] a) Allerdings nimmt ein Teil der Rspr. und des Schrifttums an, dass ein adäquater Kausalzusammenhang entfällt, wenn die Funktionsbeeinträchtigung auch auf degenerativen oder anlagebedingten Vorschäden beruht, die bis zum Unfall noch keine Beschwerden ausgelöst hatten, so dass jede andere Ursache die Gesundheit...

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