BGB §§ 249, 253 Abs. 2, 254 Abs. 1, 823 Abs. 1; StVG §§ 7 Abs. 1, 9, 11, 18 Abs. 1; StVO §§ 1, 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 9 Abs. 5; VVG § 115 Abs. 1

Leitsatz

1. Das erhebliche Verschulden eines mit 2,49 ‰ alkoholisierten Fußgängers, der bei dem Versuch, sich seitlich an einem auf einem Kundenparkplatz langsam vorwärts fahrenden Lastzug abzustützen, zwischen die Hinterachsen des Sattelaufliegers gerät, rechtfertigt im Rahmen der vorzunehmenden Haftungsabwägung das Zurücktreten der allein einzustellenden Betriebsgefahr und führt zur Verneinung jeglicher Haftung.

2. Die im Unfallzeitpunkt gemessene Blutalkoholkonzentration von 2,49 ‰ begründet die alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit eines Fußgängers, wenn dieser zuvor durch eine Verhaltensweise (Torkeln, starkes Schwanken) aufgefallen ist, die typisch für einen unter Alkoholeinfluss stehenden Fußgänger ist.

OLG Hamm, Urt. v. 17.4.2015 – I-9 U 34/14

Sachverhalt

Der Kl. macht gegen die Bekl. Schadenersatzansprüche und die Feststellung eines materiellen und immateriellen Vorbehalts aus einem Verkehrsunfall auf dem Parkplatz eines Supermarkts geltend. Der im Zeitpunkt des Unfalls mit 2,49 ‰ alkoholisierte Kl. geriet als Fußgänger zwischen die Achsen eines von dem Bekl. zu 1) gesteuerten und bei der Bekl. zu 2) haftpflichtversicherten Lastzugs, wobei er schwerste Verletzungen erlitt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. blieb erfolglos.

2 Aus den Gründen:

" … 1. Zwar ereignete sich der Unfall beim Betrieb des vom Bekl. zu 1) gesteuerten Sattelzuges, § 7 Abs. 1 StVG. Die Ersatzpflicht der Bekl. ist nicht gem. § 7 Abs. 2 StVG durch höhere Gewalt ausgeschlossen. Auch greift hier kein Anspruchsausschluss nach § 17 Abs. 3 StVG wegen Vorliegens eines unabwendbaren Ereignisses ein. Gegenüber einem Geschädigten, der selbst nicht als Halter eines Kfz für die Betriebsgefahr eines unfallbeteiligten Kfz einzustehen hat, ist § 17 StVG nicht anwendbar."

Der Bekl. zu 1) hat den Nachweis geführt, dass der Unfall nicht durch sein Verschulden verursacht worden ist, § 18 Abs. 1 S. 2 StVG. Im Ergebnis kann dies aber auch letztlich dahin gestellt bleiben. Denn eine Haftung der Bekl. gegenüber dem Kl. besteht jedenfalls deshalb nicht, weil diesen ein weitaus überwiegendes Mitverschulden an dem Zustandekommen des Unfalls trifft, § 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG.

2. Im Rahmen der danach vorzunehmenden Haftungsabwägung ist auf Seiten der Bekl. kein schuldhafter Verkehrsverstoß des Bekl. zu 1) festzustellen.

2.1 Der Bekl. zu 1) hat nicht gegen § 9 Abs. 5 StVO verstoßen. Zunächst greifen die Vorschriften der StVO auch für Fahrvorgänge am hier in Rede stehenden Unfallort, auch wenn dieser auf dem Betriebsgelände eines Supermarktes liegt. Gegenstand der gesetzlichen Regelung der StVO ist gem. § 1 Abs. 1 StVO die Teilnahme am Straßenverkehr. Dies meint alle Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum (König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 1 StVO Rn 13). Ob ein Verkehrsraum öffentlich ist oder nicht, bemisst sich nicht nach den Eigentumsverhältnissen an den jeweiligen Grundstücksflächen, sondern danach, ob der in Rede stehende Verkehrsraum ausdrücklich oder stillschweigend durch den jeweils Berechtigten für den öffentlichen Verkehr freigegeben ist (König, a.a.O., § 1 StVO Rn 14). Danach ist ein Verkehrsraum dann öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (BGH NJW 2004, 1965). Auf Parkplätzen, die – wie hier – Jedermann zugänglich sind, findet die StVO regelmäßig – auch ohne eine entsprechende Beschilderung – Anwendung (vgl. auch OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 8.9.2009 – 14 U 45/09, BeckRS 2010, 01841). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

2.2 Nach § 9 Abs. 5 StVO muss sich der Rückwärtsfahrende so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Bekl. zu 1) sich mit seinem Sattelzug vorwärts bewegt hat, und nicht rückwärts gefahren ist. Zwar hat der Zeuge T2 im Rahmen des Ermittlungsverfahrens einerseits ausgesagt, der Sattelzug habe sich rückwärts bewegt, als der Kl. zwischen die beiden Hinterachsen des Aufliegers geraten sei. Im gleichen Atemzug hat er seine zuvor gemachten Angaben jedoch entwertet, indem er einräumt, dass er nicht sagen könne, ob sich der Sattelzug noch leicht vorwärts oder rückwärts bewegt habe. Dass der Bekl. zu 1) rückwärts gefahren ist, als es zum Unfall mit dem Kl. kam, steht auch nicht aufgrund der von dem Zeugen U in den Unfallbericht als Angaben des Bekl. zu 1) aufgenommenen Äußerungen des Bekl. zu 1) fest. Es kann dahin gestellt bleiben, ob sich der Bekl. zu 1) – was dieser bestreitet – am Unfallort gegenüber den unfallaufnehmenden Polizeibeamten entsprechend geäußert hat, oder ob hier ein Verständigungs- oder ein Protokollierungsversehen vorliegt. Denn der Sachverständige Prof. T hat aus technischer Sic...

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