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Dieser Beitrag versteht sich als Zusammenfassung der Problematik "Bemerkbarkeit eines Unfalls" und soll praxisnahe Möglichkeiten zur Verteidigung des Mandanten aufzeigen. Nach einem kurzen Überblick über die dabei zu berücksichtigenden (rechtlichen) Einzelheiten soll als Arbeitshilfe ein Schriftsatz zur Bemerkbarkeit vorgestellt werden, mit dem der Verteidiger das angestrebte Ziel zu erreichen suchen kann.

A. Einleitung

Die Wahrnehmbarkeit von Verkehrsunfällen ist immer wieder Gegenstand von Beiträgen gewesen, sei es in Bezug auf rechtliche Aspekte, technische Aspekte oder Verteidigungsstrategien. Letztere können an den unterschiedlichsten Punkten ansetzen, denn § 142 StGB ist eine sehr komplexe Vorschrift und eigentlich ein Vermögensdelikt.[1]

Viele Mandanten, gegen die wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort ermittelt wird, berichten dem Verteidiger im ersten Gespräch glaubhaft, nichts von einem Zusammenstoß mitbekommen zu haben und sind in Anbetracht des Ermittlungsverfahrens regelrecht geschockt. Oftmals tun dies die Ermittlungsbehörden als Schutzbehauptung ab. Aber nicht nur die von Mandanten in der Praxis empfundene Ungerechtigkeit dieser Vorschrift ist es, die zur allgemeinen Kritik führt. § 142 StGB wird überwiegend vollkommen zu Recht als eine der am meisten verunglückten Vorschriften des besonderen Teils des StGB angesehen und als schwierig, nicht eindeutig und nicht konkret genug eingeschätzt.[2] Gleichwohl hat sich der Gesetzgeber noch nicht von einer eigentlich erforderlichen Überarbeitung/Reform überzeugen lassen.

Unabhängig von dieser Kritik ist es für den Mandanten jedenfalls am besten, wenn er sich überhaupt nicht vor dem Richter wiederfindet, sondern der Verteidiger bereits vorab die Staatsanwaltschaft oder ggf. nach Anklage den Richter vor der Hauptverhandlung dazu bringen kann, dass das Verfahren eingestellt werden kann oder muss, sei es nach § 170 Abs. 2 StPO oder nach §§ 153, 153a StPO. Die Praxis zeigt, dass dies bei entsprechender Einlassung auch durchaus möglich ist.

[1] Kudlich in: BeckOK StGB, § 142, Rn 1.
[2] Winkler in: Himmelreich/Halm, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrechts, 4. Aufl. 2012, Kap. 33 Rn 110 m.w.N; Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, 6. Aufl. 2013, Einleitung Rn 1.

B. Rechtliche Aspekte der Wahrnehmbarkeit

Rechtlich ist die Problematik der Wahrnehmbarkeit des Unfalls im subjektiven Tatbestand angesiedelt. Dabei genügt bedingter Vorsatz für die Verwirklichung des Delikts.[3]

Der erste Ansatzpunkt des Verteidigers ist dabei die tatsächliche Wahrnehmbarkeit des Anstoßes, denn hierum wird es in der Praxis sehr häufig gehen. Unterschieden werden muss zunächst nach der Wahrnehmungsfähigkeit des Beschuldigten und der tatsächlichen Wahrnehmbarkeit.[4] Persönliche Einschränkungen des Beschuldigten, insbesondere psychologische, gesundheitliche oder körperliche Beeinträchtigungen müssen ausreichend in den Feststellungen und in der Beweiswürdigung eines Urteils hervortreten.[5] Ein wesentlicher Punkt ist hier vor allem das Alter des Kraftfahrers, denn hier ist die Wahrnehmungsfähigkeit mitunter besonders problematisch.[6] Bei der Einlassung durch den Verteidiger ist aber Vorsicht geboten! Stellt er hier die mangelnde Wahrnehmung des Mandanten aufgrund seines Alters zu sehr in den Vordergrund, könnte die Staatsanwaltschaft leicht auf die Idee kommen, die Angelegenheit der Fahrerlaubnisbehörde zu melden, weil Zweifel an der Eignung zum Führen eines Kfz wegen körperlicher oder geistiger Mängel bestehen, §§ 2 Abs. 4, 3 StVG, § 3 FeV. Konsequenz kann die Anforderung eines Gutachtens eines Arztes mit verkehrsmedizinischem Schwerpunkt oder gar eine MPU sein. Dann hat der Verteidiger dem Mandanten einen Bärendienst erwiesen. Er muss also stets auch die möglichen Konsequenzen im Hinterkopf behalten, zumindest aber hierüber umfassend belehren.

Eine eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit wurde in der Rechtsprechung schon unter dem Aspekt der Einschränkung nach Alkoholgenuss diskutiert.[7] Gleiches kann für den Fall der Medikamenteneinnahme gelten, schlimmstenfalls natürlich im Zusammenspiel mit dem Konsum von Rausch- oder Suchtmitteln.[8] Die Wahrnehmbarkeit des Unfalls kann auch aufgrund innerer Einflüsse wie Stress, Angst oder äußerer Einflüsse wie einer schwierigen Verkehrssituation, der Lichtverhältnisse oder Fahrunebenheiten ausgeschlossen sein.[9]

Ist die Wahrnehmungsfähigkeit gegeben, muss hinsichtlich der Wahrnehmbarkeit differenziert werden, ob der Unfall visuell und/oder akustisch und/oder taktil wahrgenommen werden konnte. Das Gericht muss klar trennen zwischen subjektiven Einschätzungen und objektiv messbaren Fakten. Bei Einschätzungen eines Unfallgeräusches als "sehr laut" durch einen Zeugen handelt es sich um eine subjektive, weder messbare noch reproduzierbare und daher nur wenig aussagekräftige Aussage.[10] Ergibt sich dementsprechend aus der Ermittlungsakte, dass ein Zeuge angegeben hat, er habe in der Nähe gestanden und der "Knall" sei so laut gewesen, dass der Mandant diesen habe wahrnehmen müssen, hat der Verteidiger hie...

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