Für eine schadenersatzrechtliche Inanspruchnahme bedarf es einer 2-stufigen Prüfung:[49] Das Akzessorietätsprinzip verlangt zunächst die Prüfung, ob im Haftungsverhältnis überhaupt ein Anspruch besteht. Erst anschließend stellt sich die Frage, ob im Wege des Direktanspruches (§ 115 VVG) dieser bestehende Anspruch dann auch verfolgt werden kann.

Familieninterne Rücksichtnahmepflichten können die Befugnis zur Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches ausnahmsweise beschränken.[50] Eine Haftung kann als ausgeschlossen zu erachten sein, weil im Verhältnis zwischen Täter und Opfer eine Inanspruchnahme unter Berücksichtigung der Unfallumstände, der familiären Beziehung und der wirtschaftlichen Lage sowohl des Opfers wie des Täters Treu und Glauben nicht entspricht.[51] Erweist sich die Bereicherung im Familienverbund als nicht gerechtfertigt, ist auch der Haftpflichtversicherung nicht zahlungsverpflichtet (Akzessorietät).[52]

Das Verlangen nach vollständigem Ausgleich des materiellen Schadens ("Nulllinie") dürfte regelmäßig mit § 242 BGB vereinbar sein. Das gilt aber nicht, wenn das Verlangen zu einem Gewinn gegenüber der Situation ohne das Haftungsgeschehen (Differenzbetrachtung) beim Anspruchsteller – und zwar zulasten des schadenersatzpflichtigen Angehörigen – führt.

Das Bestehen von Versicherungsschutz beeinflusst zwar die Frage, ob ein konkludenter Haftungsausschluss zum Tragen kommen,[53] vermehrt aber nicht den Anspruch der Höhe nach. Ein Gewinn auf Kosten des Familienangehörigen ist nach Treu und Glauben untersagt; die Hürde von §§ 138, 242 BGB gilt dann wegen der Akzessorietät auch für die Inanspruchnahme des Haftpflichtversicherers. Das Bestehen von Haftpflichtversicherungsschutz ist keine eigenständige Anspruchsgrundlage.[54]

[49] Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, § 16 StVG Rn 26 f.
[50] Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, § 254 BGB Rn 306 ff.; Palandt-Brudermüller, BGB, 79. Auf. 2020, § 1359 Rn 2 m.w.H.
[51] BGH, Urt. v. 8.1.1965 – VI ZR 234/63 – NJW 1965, 907; BGH, Urt. v. 13.6.1961 – VI ZR 224/60 – VersR 1961, 846; OLG Karlsruhe, Urt. v. 8.10.1976 – 10 U 18/76 – VersR1977, 232.
[53] Z.B. BGH, Urt. v. 10.7.1974 – IV ZR 212/72 – NJW 1974, 2124.
[54] Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, § 254 BGB Rn 108 ff. m.w.H.

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