Unverständlich sind die Konsequenzen der BGH-Entscheidung insbesondere, wenn mehrere Personen zwar gleichzeitig durch dieselbe Handlung verletzt, rechtlich aber unterschiedlich behandelt werden. Die unterschiedlichen finanziellen Auswirkungen vermag kaum ein Anwalt seiner Mandantschaft nahe zu bringen: Der Fachmann staunt und der Laie wundert sich.

Zur Verdeutlichung folgendes Beispiel:

A ist angestellter Lehrer und lebt mit seiner verbeamteten Kollegin F in einer festen nicht-ehelichen Gemeinschaft. A befördert in seinem Auto (versichert bei Kfz-Versicherung V) zwei in seinem Haushalt lebende Kinder: Das eine Kind ist sein eigenes Kind (KA), das andere Kind (KF) seiner Lebenspartnerin stammt aus deren früherer Beziehung. Beide Kinder erhalten Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung: Für KA ist die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung (GKV) zuständig; für KF die beamtenrechtliche Beihilfe, ergänzt durch die private Kranken- und Pflegeversicherung (PKV). F, KA und KF werden verletzt.

1. Soweit die Partnerin F verletzt wird, kann ihr öffentlich-rechtlicher Dienstherr keinen Regress nehmen. Da § 86 Abs. 3 VVG analog für den Dienstherrenregress (neben Gehaltsfortzahlung auch Beihilfeaufwand für Krankheit und Pflege) gilt, erfolgt zwar ein Forderungsübergang (und damit ein Anspruchsverlust bei F), es ist aber die Regressnahme untersagt (Haushaltsangehörigenprivileg).[67]

2. Für das Kind KA ist die GKV leistungszuständig, damit gilt § 116 Abs. 6 SGB X. Nach Auffassung des BGH darf KA die Leistungen der GKV in Geldwert umgerechnet von A bzw. dessen Versicherer (V) einfordern, obwohl in der Person von KA aufgrund der Drittleistungen der GKV keine Vermögenseinbuße nach Differenzbetrachtung feststellbar ist.

3. Das Kind KF hat Leistungsansprüche gegen die PKV und die beamtenrechtliche Beihilfe. Hier kommt § 86 Abs. 3 VVG zur Anwendung mit der Konsequenz, dass – soweit Drittleistungen erbracht werden – bei KF die Aktivlegitimation entfallen ist. Nur soweit nach Berücksichtigung der Drittleistungen bei KF noch Einbußen verbleiben (Differenzbetrachtung), kann KF Forderungen gegen A (und V) geltend machen.

Das Angehörigenprivileg bleibt für die gesamte Schadenabwicklung bestehen; das gilt auch, wenn KF später die häusliche Gemeinschaft verlässt; die Regresssperre zulasten der Drittleistungsträger bleibt absolut. Kommt es in späterer Zeit dazu, dass KF aus der beamtenrechtlichen Versorgung herausfällt[68] und in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Sozialversorgung (neben GKV u.a. Rentenversicherung) fällt, brächte dies dann KF in eine finanziell interessante Position: Entscheidet KF sich für die GKV, gewinnt er zusätzliche Geldeinnahmen (mangels Verrechnung mit seinem Schaden), entscheidet er sich für die PKV, bleibt er auf den Ersatz seines verbleibenden Schadens (ohne Gewinnanteil) beschränkt.

[68] Es sind viele Möglichkeiten denkbar (wie Aufnahme einer Ausbildung, Bezug einer Halbwaisenrente).

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