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[27] 2. Hinsichtlich der Schmerzensgeldfestsetzung hat sich der Senat von den nachstehenden Überlegungen leiten lassen.

[28] Der BGH hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes festgestellt, dass Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichen Kriterien bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind, womit im Sinne einer Objektivierung der Leiden insbesondere die Art der Verletzungen, die Zahl der Operationen, die Dauer der stationären und ambulanten Behandlung, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und das Ausmaß des Dauerschadens, zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 17.10.2001 – 23 U 212/00, zitiert nach juris, Rn 2 mit Verweis auf BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschl. v. 6.7.1955 – GSZ 1/55, zitiert nach juris, Rn 15).

[29] Das Schmerzensgeld dient dem Ausgleich für Schäden nicht vermögensrechtlicher Art und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat. Die Entschädigung ist nach § 287 ZPO zu schätzen, wobei der Rechtsbegriff der billigen Entschädigung ausreichend eine angemessene Differenzierung zulässt. Der Tatrichter muss seine Ermessensentscheidung nach § 253 Abs. 2 BGB, § 287 ZPO begründen. Bei der Bemessung sind sämtliche objektiv nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines Sachkundigen erkennbaren und nicht fernliegenden künftigen Auswirkungen der Verletzung zu berücksichtigen. Der Tatrichter muss sich mit den für die Schmerzensgeldbemessung maßgeblichen Umständen auseinandersetzen. Schmerzensgeldentscheidungen anderer Gerichte sind weder Maßstab noch Begrenzung (Senat, Urt. v. 18.10.2018 – 22 U 97/16, NJW 2019, 442, 447, Rn 53, 54).

[30] Vorliegend hat der Senat zum einen den Umfang der Verletzungen, die Dauer der Krankenhausaufenthalte, den Eintritt des Operations- und mithin unfallbedingten Hirninfarkts und die daraus folgende Hemiparese berücksichtigt, die zu einer vollständigen Rollstuhlabhängigkeit und Pflegebedürftigkeit der Kl. für ihr weiteres Leben geführt hat.

[31] Hinsichtlich der Frage der Beeinträchtigung der Kl. ist weiter zu berücksichtigen, dass diese zuvor ein vollständig selbstbestimmtes und unabhängiges Leben führen konnte und auch keine schwerwiegenden Vorerkrankungen hatte, die sie in ihrem Alltag beeinträchtigten. Umso mehr muss es sie getroffen haben, dass sie von einem Tag auf den anderen zu einem Pflegefall wurde. Dies auch deshalb, als gerade im Alter die eigene Selbstständigkeit besonders große Bedeutung hat und deshalb die Pflegebedürftigkeit umso härter empfunden werden kann. Vorliegend ist auch zu berücksichtigen, dass die Kl., die keine weiteren näheren Verwandten hat, durch ihre nicht allzu viel jüngere Schwester betreut wird, so dass auch angesichts deren Alter durchaus ein Unsicherheitsfaktor hinsichtlich der Pflegemöglichkeiten gegeben ist.

[32] Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat sich der Senat deshalb zunächst an vergleichbaren Entscheidungen orientiert, bei denen die Geschädigten ebenfalls dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen waren. Der Senat bezieht sich insoweit auf die Entscheidungen des OLG Hamm, 27.5.2009 – 11 U 175/07; Schleswig-Holsteinisches OLG, 20.10.1994 – 7 U 135/93; LG Gießen, 19.7.2016 – 10 15/15; OLG München, 17.4.2014 – 24 U 3089/13; LG Heilbronn, 24.4.2003 – 4 O 321/02, deren Beträge bei vergleichbaren Beeinträchtigungen zwischen 120.000 und 200.000 EUR liegen.

[33] Hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldes ist weiter zu berücksichtigen, dass, obwohl sich in der Beweisaufnahme eindeutig eine Haftung herausgestellt hat und bereits auch vorgerichtlich auf der Hand lag, dass sich die Kl. die Verletzungen nicht lediglich durch einen Sturz aus Erschrecken ohne Kontakt mit dem Fahrzeug der Bekl. zugezogen haben könnte, von Seiten der Bekl. bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils keinerlei Zahlungen erfolgt sind und vielmehr an verschiedenen Stellen die Glaubwürdigkeit der Kl. in Zweifel gezogen wurde. Dies musste von dieser, auch wenn ihre Sachverhaltsdarstellung tatsächlich teilweise widersprüchlich war, dennoch als herabwürdigend empfunden werden, weil damit die Verursachung der Verletzungen insgesamt in Zweifel gezogen wurde, obwohl diese tatsächlich durch den Unfall verursacht worden waren.

[34] Hinzu kommt, dass die Bekl. im Wege der Anschlussberufung eine Reduzierung des Schmerzensgeldes auf 17.500 EUR beantragt haben, was angesichts des Umfangs der zuzurechnenden Verletzungen, der lebenslangen Beeinträchtigungen der Kl. und der Rspr. zu Querschnittslähmung bzw. lebenslanges Angewiesensein auf einen Rollstuhl in keiner Weise angemessen ist.

[35] Unvertretbare Hinauszögerung der Regulierung durch den Ersatzpflichtigen kann bei der Schmerzensgeldfestsetzung Berücksichtigung finden (OLG Hamm, 15.2.2019 – 11 U 136/16; OLG Dresden, 28.4.2017 – 6 U 1780/16; OLG Hamm NZV 2003, 192; OLG Frankfurt, 7.1.1999 – 12 U 98/07, NJW 99, 2447; OLG Nürnberg, 22.12.2006 – 5 U 1921/0...

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