"… I. Nach § 1 Abs. 1 AVB erbringt die Bekl. monatlich im Voraus eine Berufsunfähigkeitsrente, wenn die versicherte Person berufsunfähig wird i.S.v. § 2 Abs. 1 AVB. Die Kl. war infolge der Komplikationen nach der bei ihr im September 2015 durchgeführten Operation zunächst vertragsgemäß berufsunfähig. Die Berufsunfähigkeit dauert auch über den 1.6.2017 hinaus an. Dem steht insbesondere nicht die Tatsache entgegen, dass die Kl. inzwischen zu einer Arbeitstätigkeit von 19 Stunden pro Woche in ihrem erlernten Beruf als medizinische Fachangestellte in der Lage ist."

1. Nach § 2 Abs. 1 AVB besteht Berufsunfähigkeit, wenn der Versicherte zu mindestens 50 % außerstande ist, seiner vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Hinsichtlich des letzten Berufs ist bei der Kl. auf ihre weiterhin ausgeübte Tätigkeit als medizinische Fachangestellte abzustellen, allerdings mit der Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche, was ihrem Tätigkeitsumfang vor Beginn der Elternzeit im Dezember 2009 entsprach. Da der Kl. derzeit nur noch eine Tätigkeit von maximal 19 Stunden pro Wochen möglich ist, liegt eine Berufsunfähigkeit zu 50 % weiterhin vor.

2. Entgegen der Auffassung der Bekl. ist nicht auf die Wochenarbeitszeit der Kl. unmittelbar vor Eintritt der Berufsunfähigkeit von 23 Stunden pro Woche abzustellen. Bei einem Berufswechsel gilt insofern, dass grds. auf den neuen Beruf abzustellen ist, wenn dieser nunmehr die Lebensstellung prägt (vgl. OLG Saarbrücken, zfs 2014, 521). Diese Grundsätze sind entsprechend anzuwenden, wenn der Versicherte zwar seinen Beruf beibehält, aber seine Arbeitszeit erhöht oder reduziert. Es ist somit grds. auf die Arbeitszeit unmittelbar vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung abzustellen, wobei im Falle einer Änderung aber Voraussetzung ist, dass die geänderte Arbeitszeit die Lebensstellung des Versicherten bereits prägt. Dies ist hinsichtlich des Übergangs auf eine Teilzeittätigkeit durch die Kl. zu verneinen. Grund für die Reduzierung der Arbeitszeit war die Geburt der Tochter der Kl., wobei die Kl. bereits zum damaligen Zeitpunkt beabsichtigte, nach der Einschulung ihrer Tochter ihre Arbeitszeit wieder zu erhöhen. Eine Reduzierung der Arbeitszeit zur Kinderpflege ist in der Regel, wenn keine anderweitigen Anhaltspunkte entgegenstehen, nur vorübergehender Natur, da der Versorgungsbedarf sich mit zunehmendem Alter des Kindes grds. reduziert. Es ist deshalb regelmäßig nicht davon auszugehen, dass eine Reduzierung der Arbeitszeit zur Kinderbetreuung zu einer relevanten Änderung des Berufsbildes führt (vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker, 6. Aufl. 2019, VVG § 172 Rn 11; …).

So hat der BGH den Leistungsanspruch einer Versicherten bestätigt, die bis 1994 als Erzieherin tätig war und in der Folge nach Eltern- und Erziehungszeit erst 2008 wieder in ihren früheren Beruf zurückkehrte (vgl. BGH zfs 2012, 221). Dies belegt, dass alleine der Zeitablauf seit Aufgabe der Vollzeittätigkeit ein Abstellen auf diese nicht ausschließt. Darüber hinaus hat das OLG Saarbrücken entschieden, dass durch die Elternzeit der Bezug zum früheren Beruf nicht verloren gehe, und zwar auch dann nicht, wenn der Versicherte übergangsweise geringfügig beschäftigt gewesen ist, um die mit der Elternzeit verbundenen Vermögenseinbußen abzumildern (vgl. OLG Saarbrücken, BeckRS 2015, 3069). Wenn aber eine geringfügige Beschäftigung nicht zu einer Änderung des relevanten Berufsbildes führt, muss das gleiche für eine Reduzierung der Arbeitszeit im bereits zuvor ausgeübten Beruf gelten.

3. Der Einwand der Bekl., dass die Kl. sich auf die Arbeitszeit vor Antritt der Elternzeit schon deshalb nicht berufen könne, da im Leistungsantrag, der dem Anerkenntnis der Versicherung zugrunde liegt, die reduzierte Arbeitszeit angegeben war, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis.

Insofern ist zunächst zu sehen, dass das Anerkenntnis der Leistungspflicht des VR primär dem Interesse des Versicherten an Planungssicherheit dienen soll (vgl. etwa: Langheid/Wandt/Dörner, 2. Aufl. 2017, VVG § 173 Rn 1). Bereits diese Erwägung spricht gegen eine Vertrags- bzw. Gesetzesauslegung, bei der aufgrund des erfolgten Anerkenntnisses des VR die Rechte des Versicherten verkürzt werden. Auch der Verweis der Bekl. auf die hierzu ergangene Rechtsprechung des KG (NJOZ 2019, 982) führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Hierbei ging es um die Frage, ob der Versicherte die Angaben zu seinem Gesundheitszustand im Leistungsantrag nachträglich bestreiten kann, aufgrund derer der VR seine Leistungspflicht anerkannt hat. Das KG hat dies mit dem Argument verneint, dass der Versicherte insofern nicht schutzwürdig sei. Auf den vorliegenden Fall lassen sich diese Überlegungen aber schon deshalb nur begrenzt übertragen, da es sich bei der Arbeitszeit im Gegensatz zum Gesundheitszustand zu einem konkreten Zeitpunkt im Regelfall um eine Größe handelt, die auch nachträglich ohne weiteres ermittelt werden kann. Entscheidend i...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge