Aufgrund seiner Dispositionsfreiheit ist der Geschädigte eines Verkehrsunfalls berechtigt, seinen Schaden auf Gutachtenbasis abzurechnen, was irreführend als fiktive Abrechnung bezeichnet wird. Irreführend ist die Bezeichnung, weil sie dahin missgedeutet werden kann, es werde über einen nicht eingetretenen, lediglich fingierten Schaden abgerechnet. Die grundsätzliche, auf seine Dispositionsfreiheit zurückzuführende Berechtigung zur "fiktiven" Abrechnung wird in der Rspr. anerkannt (vgl. BGH zfs 2008, 503; BGH zfs 1989, 299; OLG Frankfurt zfs 1994, 50; OLG Hamm zfs 1993, 10; OLG Koblenz DAR 2015, 462; Richter, in: Himmelreich/Halm, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 6. Aufl., Kap. 4 Rn 46–48).

Kürzungen des Abrechnungsbetrags bei fiktiver Abrechnung sind gesetzlich und in der Rspr. mit der Begründung vorgenommen worden, der Geschädigte dürfe nicht an dem Schadensfall verdienen. Gerade die Konstellationen der Weiterbenutzung des beschädigten Fahrzeuges, der Veräußerung in unrepariertem Zustand, der Eigenreparatur, der preiswerten Reparatur in einer preisgünstigen Werkstatt haben zu Tendenzen der Restriktion des Umfangs der fiktiven Abrechnung geführt. Als gesetzliche Maßnahme zur Einschränkung des Umfangs der fiktiven Abrechnung ist die Streichung der Umsatzsteuer bei fiktiven Abrechnungen gem. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB anzuführen. Ob diese verwirklichten Trends zur Beschränkung der fiktiven Abrechnung gerechtfertigt gewesen sind oder nicht, muss heute nicht mehr diskutiert werden. Die Überzeugungsbildung ist nicht mehr umkehrbar, so dass allein noch eine Darstellung der Besonderheiten der auf der – nunmehr beschränkten – Dispositionsfreiheit beruhenden fiktiven Abrechnung erfolgen soll.

1) Ausgehend von den Kenngrößen Wiederbeschaffungswert und Wiederbeschaffungsaufwand fügt die Rspr. zur Beschränkung der fiktiven Abrechnung das Erfordernis der sechsmonatigen Nutzung ein (vgl. BGH zfs 2008. 403).

Der Wiederbeschaffungswert ist dabei der Geldbetrag, den ein Gebrauchtwagenhändler zu zahlen hat (vgl. Richter, a.a.O., Kap. 4 Rn 35; Hillmann/Schneider, Das verkehrsrechtliche Mandat, Bd. 2 Verkehrszivilrecht, 7. Aufl., § 7 Rn 59). Maßgeblich sind die Bruttowerte (vgl. BGH zfs 2009, 439; OLG Düsseldorf DAR 2008, 269). Dementsprechend fließen als Preisbestandteile auch der Gewinnanteil des Händlers und etwaige Garantiekosten ein (vgl. AG Darmstadt zfs 2000, 338).

Kalkulatorisch ist in dem Wiederbeschaffungswert der Restwert des Unfallfahrzeuges enthalten. Der Restwert gibt den Preis an, den ein Aufkäufer für das Fahrzeug in unbeschädigtem Zustand zahlt (vgl. BGH NJW 1966, 1454 f.; BGH DAR 2000, 159; AG Homburg/Saar zfs 2004, 212 ff.; Hillmann/Schneider, a.a.O., § 7 Rn 247).

Mit der Bestimmung der Differenz von Wiederbeschaffungswert und Restwert hat die Rspr. eine weitere Kenngröße – den Wiederbeschaffungsaufwand – eingeführt. Für die Grenzziehung zum Totalschaden wird bei fiktiver Abrechnung eine Vergleichsbetrachtung zu den erforderlichen Reparaturkosten angestellt. Liegen diese im Bereich zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert, darf bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts nur dann abgerechnet werden, wenn der Geschädigte sein fortbestehendes Integritätsinteresse dadurch deutlich macht, dass er das Fahrzeug sechs Monate, gerechnet ab dem Unfalltag, nutzt (vgl. BGH zfs 2011, 264; BGH zfs 2008, 503). Veräußert der Geschädigte ohne Beachtung dieser schadensrechtlichen "Schamfrist" das Fahrzeug in unrepariertem Zustand, kann er nur auf der Grundlage des Wiederbeschaffungsaufwandes abrechnen (vgl. OLG Düsseldorf NZV 2004, 584 f.; OLG Hamm r + s 2003, 479).

2) Das zusätzliche Erfordernis einer Reparatur spielt in der Praxis keine Rolle. Eine Schlechterstellung des Geschädigten bei der fiktiven Abrechnung gegenüber der konkreten Abrechnung ist darin zu sehen, dass der Ersatz konkreter Reparaturkosten unter Wiederbeschaffungswert ohne Weiternutzung möglich ist (vgl. BGH zfs 2007, 328). Auf die Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen kann der Geschädigte nicht vertrauen, womit die Vergleichsbetrachtung und darauf beruhende Dispositionen sich nachträglich als verfehlt erweisen können (vgl. BGH zfs 1989, 299; OLG Hamm zfs 1999, 16). § 249 Abs. 2 S. 2 BGB spricht dafür, dass in die Vergleichsbetrachtung Nettobeträge einzustellen sind (ablehnend BGH zfs 2009, 439). Häufig unbeachtet bleibt, dass bei der Vergleichsbetrachtung auf der Seite des Reparaturaufwands die Wertminderung zu berücksichtigen ist (vgl. OLG Düsseldorf DAR 2008, 268; LG Saarbrücken zfs 2015, 504; zustimmend Hillmann/Schneider, a.a.O., § 7 Rn 61).

RiOLG a.D. Heinz Diehl

zfs 11/2018, S. 625 - 626

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