Selten hat eine einzelne und noch nicht rechtskräftige landgerichtliche Entscheidung so schnell Verbreitung gefunden wie jene des LG Darmstadt vom 5.9.2018 (Az. 23 O 386/17). Die Erklärung hierfür liegt in ihrem Inhalt: Sie tritt einer jahrzehntelangen höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie nahezu einhelligen Literaturauffassung entgegen und schafft die fiktive Abrechnung im Schadensersatzrecht ab.

Nun beginnt eine neue Ära in der Rechtsanwendung oft mit einer erstinstanzlichen Entscheidung. Allein der Umstand, dass sich das Landgericht intensiv mit einer Rechtsfrage befasst und diese anders beantwortet als der BGH und die nahezu einhellige Meinung in der Literatur, ist ihm grundsätzlich nicht vorzuwerfen, im Gegenteil.

Mit seiner Entscheidung vom 22.2.2018 (Az. VII ZR 46/17) hat der VII. Senat seine ständige Rechtsprechung zum Werkvertragsrecht geändert und erklärt eine Berechnung des Schadens auf der Grundlage der fiktiven Mangelbeseitigungskosten für unzulässig.

Er begründet dies mit den speziellen Gegebenheiten im Werkvertragsvertragsrecht, die häufig zu einer Überkompensation des Geschädigten führen (sollen), da der Mangel nicht gleichzusetzen sei mit dem Schaden. Ob dies eine tragfähige Grundlage für das gefundene Ergebnis darstellt, soll hier – auch aus Platzgründen – nicht erörtert werden, zumal der BGH seine Rechtsprechung ausdrücklich auf das Werkvertragsrecht beschränkt und sowohl das Kauf- als auch das Deliktsrecht ausnimmt.

Da nicht alle Baumängel saniert werden müssen, ist das Argument grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen (s. z.B. OLG Jena, Urt. v. 30.6.2016 – 1 U 66/16, das für eine mangelhafte Bodenplatte rund 150.000 EUR zuerkannte; ob ein Tausch derselben erforderlich war oder durchgeführt wurde, erscheint zumindest fraglich. Auch die von Bauträgern oft praktizierte Vorgehensweise, wegen vergleichsweise geringer optischer Mängel den Werklohn zu kürzen, obwohl vielleicht sogar der Kaufpreis voll vereinnahmt wurde, mag ein Grund gewesen sein).

Die dortigen Überlegungen nimmt das Landgericht zum Anlass, das Verbot einer fiktiven Abrechnung auch auf das Deliktsrecht zu übertragen, obwohl der VII. Senat ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass seine Rechtsprechung nur für das Werkvertragsrecht wegen der dort gegebenen Besonderheiten gelte.

Auch dies mag man dem Landgericht noch zugestehen, denn die Erwägungen des VII. Senats mögen aus Sicht des Landgerichts unzutreffend sein. In seiner Argumentation hätte das Landgericht dann aber auch insbesondere auf die Entscheidung vom 19.2.2013 (Az. VI ZR 69/12) eingehen müssen, wonach bei fiktiver Schadensabrechnung die erforderlichen Reparaturkosten auch allgemeine Kostenfaktoren wie Sozialabgaben und Lohnnebenkosten umfassen.

Der VI. Senat verneint in seiner Entscheidung ausdrücklich eine – vom VII. Senat für das Werkvertragsrecht angenommene – Überkompensation bei fiktiver Abrechnung und lässt daher entsprechende Abzüge nicht zu. Dies hat auch einen guten Grund, den das Landgericht aber nicht sieht und der in den Besonderheiten des Schadensersatzrechts liegt: Verzichtet der Geschädigte auf die Durchführung der Reparatur des beschädigten Fahrzeugs, so bleibt der entsprechende Wertverlust am Fahrzeug haften.

Jeder potentielle Käufer des Fahrzeugs würde den Wert desselben um die noch anfallenden Netto-Reparaturkosten mindern, und zwar unabhängig davon, ob auch nach vollständig und fachgerecht durchgeführter Reparatur eine merkantile Wertminderung bleibt.

Neben der Sache liegen im Weiteren sowohl die Annahme als auch der Vorwurf des Landgerichts, auch der VI. Senat tendiere wie das Landgericht zur Abschaffung der fiktiven Abrechnung, "wenn auch eher mit dem schlussendlich freilich untauglichen Versuch punktueller Korrekturen", da er mit seinem Urteil vom 23.2.2010 (Az. VI ZR 91/09) die Möglichkeit der Verweisung – und damit aus Sicht des Landgerichts eine Einschränkung der fiktiven Abrechnung – eröffnet habe, die der BGH jedoch dogmatisch zutreffend unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Reparaturkosten behandelt, was das Landgericht übersieht.

Die Entscheidung des Landgerichts unterliegt einem dogmatischen Mangel: In Schadensersatzprozessen geht es allein um die Frage der erforderlichen Wiederherstellungskosten gem. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB, also diejenigen Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte.

Der Gesetzgeber hat mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zum 1.1.2002 § 249 Abs. 2 S. 2 BGB als Ausnahmevorschrift eingefügt, wonach die Umsatzsteuer – im Gegensatz zur vorherigen Rechtspraxis – nur erstattungsfähig ist, wenn und soweit sie tatsächlich anfällt.

Der Gesetzgeber hat damit die Möglichkeit einer fiktiven Schadensabrechnung gerade angenommen, diese der Höhe nach jedoch auf den Netto-Betrag begrenzt, wenn und soweit keine Umsatzsteuer anfällt.

Zu diesem dogmatischen Problem zitiert das Landgericht den VII. Senat unzutreffend, wenn es ausführt, d...

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