Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X und Haushaltsprivileg des § 86 Abs. 3 VVG

1

Der nachfolgende Aufsatz soll als Nachschlagehilfe in der täglichen Praxis dienen. Je nach Konstellation wird dabei auf das Familien- oder Haushaltsprivileg abgestellt. Struktur und Interessenlage beider Vorschriften sind vergleichbar. Der Gleichlauf wird insbesondere auch vom Bundesgerichtshof betont, der ausführt, dass nach der Gesetzesbegründung § 116 Abs. 6 SGB X wegen gleicher Interessenlage der Vorschrift des § 67 Abs. 2 VVG a.F. nachgebildet sei.[1]

A. Haftungssperren nach § 116 Abs. 6 SGB X und § 86 Abs. 3 VVG

Das sog. Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X kennt bei nichtvorsätzlichen Schädigungen zwei Ausprägungen: Zum einen ist der Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger (SVT) ausgeschlossen, wenn der Schädiger ein Familienangehöriger ist, der im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen in häuslicher Gemeinschaft lebt (Satz 1). Zum anderen kann der (gem. § 116 Abs. 1 SGB X übergegangene) Ersatzanspruch nicht geltend gemacht werden, wenn der Schädiger mit dem Geschädigten oder einem Hinterbliebenen nach Eintritt des Schadensereignisses die Ehe geschlossen hat und in häuslicher Gemeinschaft lebt (Satz 2).

Geht ein Anspruch nach § 86 Abs. 1 VVG auf einen Versicherer über, kann dieser wegen des sog. Haushaltsprivilegs nach § 86 Abs. 3 VVG dann nicht geltend gemacht werden, wenn sich der übergegangene Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen eine Person richtet, mit der der Versicherungsnehmer bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt, es sei denn, diese Person hat den Schaden vorsätzlich verursacht.

B. Normzweck

Durch das "Familienprivileg" gem. § 116 Abs. 6 SGB X und das "Haushaltsprivileg" nach § 86 Abs. 3 VVG sind der Schutz der jeweiligen Gemeinschaft (auch vor internem Streit) und der Schutz des Geschädigten beabsichtigt. Die Regresssperren bezwecken den Erhalt des häuslichen Gemeinschaftsfriedens und die Vermeidung einer finanziellen Belastung des Geschädigten bei wirtschaftlicher Einheit mit dem Schädiger.[2] Dem Geschädigten soll die erbrachte Leistung nicht mittelbar wieder dadurch entzogen werden, dass bei einem dem Geschädigten wirtschaftlich verbundenen Gemeinschaftsmitglied Rückgriff genommen werden kann[3] (Tasche rein – Tasche raus).

[2] BGHZ 106, 284 m.w.N.; OLG Köln MDR 1991, 255.
[3] BGH NJW 2011, 3717; BGH VersR 1986, 333; OLG Köln VersR 1991, 1237.

C. Privilegierungen zugunsten Haftpflichtversicherer

Allein die Klärung der Haftungsfrage zwischen den Versicherern, in welche der Schädiger verwickelt wird, birgt die Gefahr einer Belastung in sich.[4] Hierdurch kann der Hausfrieden erheblich gestört werden, was nicht mit dem Schutzzweck der Privilegierung in Einklang zu bringen ist. Ferner differenziert das Gesetz nicht danach, ob der Schädiger haftpflichtversichert ist oder nicht. Die §§ 116 Abs. 6 SGB X bzw. 86 Abs. 3 VVG sind somit auch dann anzuwenden, wenn hinter dem Schädiger eine Haftpflichtversicherung steht.[5]

Der Wortlaut der § 116 Abs. 6 SGB X und § 86 Abs. 3 VVG ist eindeutig und alles andere würde auch dem Trennungsprinzip, wonach die Versicherung der Haftung folgt und nicht umgekehrt, widersprechen.

[4] LG Trier VersR 2000, 1130; a.A. Prölss/Martin, 29. Aufl. 2015, § 86 VVG Rn 87.
[5] BGH NJW 2011, 3715; BGH NJW 1985, 471, OLG Schleswig zfs 2011, 460; OLG Stuttgart NZV 2006, 213; OLG Saarbrücken r+s 1989, 104.

D. Ansprüche des SVT nach § 110 SGB VII

Das Familienprivileg greift hier nicht, da der Sozialversicherungsträger nach Abs. 2 der Vorschrift die Möglichkeit besitzt, "nach billigem Ermessen, insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers, auf den Ersatzanspruch ganz oder teilweise zu verzichten.[6] "

[6] So schon grundsätzlich BGH VersR 1978, 35 zu §§ 640 RVO, 67 Abs. 2 VVG analog.

E. Regress des Sozialhilfeträgers

Im Verhältnis zum Sozialhilfeträger gilt das Angehörigenprivileg wegen des Subsidiaritätsprinzips (§ 2 SGB XII) nicht.[7]

Dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe ist bei der Anwendung der Übergangschranke des § 116 Abs. 6 SGB X Rechnung zu tragen, so dass dem Sozialhilfeträger dann, wenn er vor einer eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherung auf Leistung in Anspruch genommen wird, der Rückgriff gegen den Haftpflichtversicherer offen steht.[8] Entsprechendes kann für alle Leistungen angenommen werden, die nicht auf Beiträgen des Geschädigten oder für ihn erbrachten Beiträgen beruhen, insbesondere des Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende.

In der grundlegenden BGH-Entscheidung wurde auch bestätigt, dass diese Ausnahme wegen des klaren Wortlauts nicht für Sozialversicherungsträger gilt.[9]

[7] BGH VersR 1996, 1258.
[8] BGH VersR 1996, 1258.

F. Familienprivileg und Pflegeversicherung

Zwar hat das Familienprivileg auch im Verhältnis zur Pflegekasse Geltung. Aber: Ein geschädigter Angehöriger muss sich gegebenenfalls auf den Schadenersatzanspruch gegen einen Kfz-Haftpflichtversicherer keine Leistungen der sozialen Pflegeversicherung anrechnen lassen.[10]

Die Entscheidung des BGH[11] ist schon insoweit bedenklich, als sie, wie auch der BGH einräumen muss, zu der wid...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge