Kritische Anmerkungen zum Urteil des EuGH vom 16.6.2011 – C-65/09 u. C-87/09

Einführung

In seinem bemerkenswerten Urteil vom 16.6.2011 hat der Europäische Gerichtshof wichtige Festlegungen zur Reichweite des Ersatzlieferungsanspruchs getroffen. Danach ist der Verkäufer verschuldensunabhängig dazu verpflichtet, eine vom Käufer eingebaute mangelhafte Sache auszubauen und die neu gelieferte Sache einzubauen oder zumindest die Kosten hierfür zu tragen. Der folgende Beitrag analysiert die Entscheidung kritisch und beschreibt ihre Folgen für das deutsche Recht.

I. Einleitung

Die Situation, dass der Käufer die ihm gelieferte Sache in eine andere einbaut und sich dann ein Mangel zeigt, wirft schwierige Rechtsprobleme auf. Sie lassen sich nicht ohne Rückgriff auf die Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (RL) lösen. Der BGH[1] legte Anfang 2009 dem EuGH die Frage vor, ob der Verkäufer nach Art. 3 Abs. 2, 3 RL im Rahmen der Ersatzlieferung die Kosten für den Ausbau der ursprünglich gelieferten mangelhaften Sache (vorliegend: Bodenfliesen) zu tragen hat. Er wollte ferner wissen, ob der Verkäufer die vom Käufer verlangte Abhilfe verweigern kann, wenn die notwendigen Aufwendungen den Wert des Kaufgegenstands in mangelfreiem Zustand erheblich übersteigen würden (absolute Unverhältnismäßigkeit, s. § 439 Abs. 3 S. 3 Hs. 2 BGB).[2] In seiner Parkettstäbe-Entscheidung[3] hatte der BGH bereits 2008 eine Verpflichtung des Verkäufers zum Einbau der mangelfreien Ware verneint. Ein Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Schorndorf[4] – hier ging es um eine schon eingebaute defekte Spülmaschine – gab dem EuGH Gelegenheit, auch zur Frage der Einbaukosten Stellung zu nehmen. In seinen die Entscheidung vorbereitenden Schlussanträgen hatte Generalanwalt Mazak[5] die Verantwortung für anfallende Montagearbeiten gänzlich dem Käufer zugewiesen und es dem Verkäufer zudem erlaubt, sich gegenüber dem Nacherfüllungsbegehren mit dem Einwand absoluter Unverhältnismäßigkeit zu verteidigen. Für viele überraschend ist der EuGH den sehr sorgfältig begründeten Vorschlägen des Generalanwalts nicht gefolgt, sondern hat jeweils diametral entgegengesetzte Positionen eingenommen.

[1] BGH NJW 2009, 1660; Vorinstanz OLG Frankfurt/M. ZGS 2008, 315.
[2] Der BGH hat die Fragen in umgekehrter (nicht unbedingt logischer) Reihenfolge vorgelegt, dazu schon Greiner, ZGS 2010, 353, 354; Höpfner, ZGS 2009, 270; Unberath/Cziupka, JZ 2009, 313.
[3] BGHZ 177, 224 = NJW 2008, 2837.
[4] AG Schorndorf ZGS 2009, 525.
[5] Schlussanträge des GA Mazak v. 18.5.2010 – C-65/09, ZGS 2010, 361; v. 18.5.2010 – C-87/09, BeckRS 2010, 90584.

II. Darstellung der Entscheidung und kritische Analyse

1. Erstattungsfähigkeit von Ein- und Ausbaukosten

a) Begriff der Ersatzlieferung

Nach Ansicht des EuGH folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 RL verwendeten Terminus "Ersatzlieferung", insbesondere unter Berücksichtigung anderer Sprachfassungen (englisch: "replacement", französisch: "remplacement"), dass der Verkäufer nicht nur verpflichtet sei, im zweiten Anlauf nunmehr vertragskonforme Ware zu liefern, sondern auch, das vertragswidrige Verbrauchsgut durch das als Ersatz gelieferte Gut auszutauschen.[6] Er schuldet demnach einen Ersetzungserfolg, der die Rücknahme der mangelhaften Sache mit einschließt. In welchem Zustand (noch eingebaut oder vom Käufer vorher ausgebaut) die ursprünglich gelieferte Sache zu ersetzen ist, ist begrifflich jedoch nicht vorgegeben.[7] Diese Frage lässt sich nur aufgrund von Systematik und Zweck der Richtlinie beantworten.

[7] GA Mazak, ZGS 2010, 361 Tz. 44.

b) Systematik

Dabei kommt dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, dass die Ersatzlieferung nach Art. 3 Abs. 2 RL stets nur ein Instrument zur "Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts" ist. Der EuGH verkennt, dass damit auf das nach der ursprünglichen Parteivereinbarung Geschuldete abgestellt werden muss. Der Nacherfüllungsanspruch ist modifizierter Erfüllungsanspruch.[8] Im Regelfall ist der Verkäufer nach dem Kaufvertrag nur zur Lieferung der Kaufsache, nicht aber zu deren Einbau verpflichtet. Was der Käufer mit ihr nach Gefahrübergang macht, liegt in seiner freien Entscheidung. Es überzeugt daher wenig, den Verkäufer mit den Konsequenzen dieser Entscheidung zu belasten.[9]

[8] BGHZ 177, 224 Tz. 18.
[9] Katzenstein, ZGS 2009, 29, 32.

c) Merkmal der Unentgeltlichkeit

Das Gericht hebt vor allem darauf ab, dass die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts nach Art. 3 Abs. 2, 3 RL unentgeltlich erfolgen müsse.[10] Das Merkmal der Unentgeltlichkeit solle den Verbraucher vor finanziellen Belastungen schützen, die ihn davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen. Müsste der Käufer die Kosten für den Ein- und Ausbau übernehmen, würde dies zu zusätzlichen finanziellen Lasten führen, die nicht angefallen wären, wenn der Verkäufer von vornherein ordnungsgemäß erfüllt hätte. Der Gerichtshof beruft sich dabei auf seine Aussagen im Quelle-Urteil.[11] Doch hatte er damals lediglich verlangt, dass jede finanzielle Forderung des Verkäufers im Zusammenhang mit der Nacherfüllung ausgeschlossen sein müsse. Das führte im damaligen Fall zu dem (vertretbaren) Ergebnis, dass...

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